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Gelenkschmerzen in den Wechseljahren – Interview mit Frauenärztin Anna Stamm

Wechseljahre und Gelenkschmerzen: Eine Frau im mittleren Alter dehnt sich

Als typische Probleme in den Wechseljahren gelten Hitzewallungen und Schweißausbrüche. Weniger bekannt ist, dass die Hormonumstellung in der Lebensmitte bei vielen Frauen auch Gelenkschmerzen auslösen kann. Im Interview erklärt Frauenärztin und Medical Influencerin Anna Stamm, wie Frauen hormonell bedingte Gelenkschmerzen erkennen können und was sich dagegen tun lässt.   

Was sind die Symptome – Wo können Gelenkschmerzen auftreten?

Anna Stamm: „Gelenkbeschwerden können dumpf, ziehend oder stechend sein und die Beweglichkeit einschränken. Grundsätzlich kann jedes Gelenk von Schmerzen betroffen sein. Viele Frauen merken irgendwann, dass die Knie steifer werden, die Finger schmerzen oder die Schultern nicht mehr so mitmachen wie früher. Auch die Wirbelsäule und das Becken können betroffen sein. Am häufigsten betrifft es Knie und Schulter.“ 

Was sind die Ursachen von Gelenkschmerzen?

Anna Stamm: „In der Regel gehen Frauen mit Gelenkbeschwerden erst einmal zum Orthopäden und bringen sie nicht mit hormonellen Problemen in Verbindung. Ursachen können natürlich auch ganz klassische Entzündungen, Rheuma, Gicht oder Abnutzungserkrankungen wie Arthrose sein. Aber – und daran denken leider noch nicht alle – auch der Östrogenmangel in den Wechseljahren wirkt sich erheblich auf Gelenke und Bewegungsapparat aus.

Gerade bei Phänomenen wie der sogenannten „Frozen Shoulder, wo die Schulter in der Bewegung eingeschränkt ist, aber auch bei schmerzenden Knie- und Fingergelenken sollte man bei Frauen mittleren Alters unbedingt auch an die Wechseljahre denken und schauen: treten gleichzeitig auch noch andere Beschwerden wie Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen oder Hitzewallungen auf?  Wird die Periode unregelmäßiger, bleibt sie schon mal ganz aus, wird der Zyklus kürzer? Das sind alles Anzeichen für Schwankungen des Östrogenspiegels und eventuell ein zentraler Teil des Problems.“

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Östrogen hat im weiblichen Körper ein viel größeres Aufgabengebiet als nur die Steuerung des Zyklus. 

Welche Wirkung hat Östrogenmangel auf die Gelenke? 

Anna Stamm: „Natürlich spielt bei Gelenkschmerzen meist auch der Umstand eine gewisse Rolle, dass im Laufe der Zeit gewisse Knorpelschäden entstanden sind oder die Beweglichkeit vom Bindegewebe insgesamt nachgelassen hat. Der Östrogenabfall verstärkt dann zusätzlich gleich mehrere negative Entwicklungen, die dann zu Gelenkschmerzen führen. Dazu ist wichtig zu wissen: Östrogen hat im weiblichen Körper ein viel größeres Aufgabengebiet als nur die Steuerung des Zyklus. Frauen haben Östrogenrezeptoren in den Genitalorganen und der Brust, aber längst nicht nur dort. Östrogen-Rezeptoren finden sich an ganz vielfältigen Organsystemen, zum Beispiel an den Gefäßen – dadurch kommen die Hitzewallungen zustande, sowie auch in den Gelenken und am Knochen.

Für die Gelenke bedeutet der Östrogenmangel, dass weniger Gelenkflüssigkeit produziert wird, aber auch, dass die umgebenden Bandstrukturen weniger flexibel werden. Gleichzeitig baut sich die Muskulatur um, enthält weniger Muskelmasse, und die Knochen, für deren Kräftigung und Mineralisierung Östrogen ebenfalls sorgt, können als Folge des Östrogenmangels auch noch an Masse verlieren. Das kann in der Folge zu Osteoporose führen und außerdem dazu beitragen, dass das Gelenk stärker beansprucht wird und schmerzt. Insgesamt ist das ein ganzes Zusammenspiel von kritischen Faktoren, die es den Gelenken in den Wechseljahren schwerer macht, wie gewohnt zu funktionieren.“ 

Lässt sich ein Östrogenmangel als Ursache von Gelenkschmerzen eindeutig erkennen?

Anna Stamm: „Wechseljahressymptome sind alle nicht spezifisch, sondern häufig ein Zusammenhang von verschiedenen Symptomen, die auch im Rahmen von anderen Erkrankungen auftreten können. Wenn mehrere von diesen Symptomen zusammen mit Zyklusveränderungen auftreten und das Lebensalter dazu passt, ergibt sich für uns eine Verdachtsanalyse, dass Östrogenmangel eine Rolle spielen könnte. 

Um die zu erhärten, kann man eine Blutuntersuchung machen und den Östrogenspiegel bestimmen. Allerdings ist das immer nur eine Momentaufnahme. Und gerade in den Wechseljahren schwankt der Hormonspiegel stark. Das bedeutet: Auch wenn ich an einem Tag einen hohen Östrogenspiegel messe, kann sich die Frau trotzdem in den Wechseljahren befinden. Gewissheit bekommt man eigentlich nur durch einen Therapieversuch. Wenn eine Hormonersatztherapie über mehrere Monate zu einer deutlichen Verbesserung der Gelenkschmerzen führt, können wir daraus schließen, dass der Östrogenmangel eine wichtige Ursache dafür gewesen ist.“

Gelenkschmerzen in den Wechseljahren – was hilft am besten? 

Anna Stamm: „Man kann nicht generell sagen, dass eine bestimmte Therapie am besten hilft, dafür sind die gesundheitlichen Bedingungen bei den Frauen zu unterschiedlich. Eine Hormonersatztherapie mit bioidentischem Östrogen ist in der Regel sehr gut wirksam, ich höre hier von meinen Patientinnen überwiegend nur Gutes. Aber sie ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, um auf die Umstellung des Körpers und Gelenkschmerzen in den Wechseljahren zu reagieren. Es gibt auch Alternativen, wenn man wegen des leicht erhöhten Risikos für Brustkrebs, Schlaganfall und Thrombosen lieber auf die langfristige Einnahme von Hormonpräparaten verzichten möchte. 

Das mit einer Hormonersatztherapie verbundene Risiko ist nach heutiger Kenntnislage gering – und man kann es zusätzlich reduzieren, indem man das Östrogen nicht schluckt, sondern auf die Haut aufträgt, zum Beispiel als Gel. So geht es direkt ins Blut über und wird nicht zuerst über die Leber verstoffwechselt.“

Gibt es ein Zeitfenster, in dem Frauen sich für die Hormonersatztherapie entscheiden müssen?

Anna Stamm: „Die positiven Effekte der Therapie nehmen tatsächlich im Laufe der Zeit ab. Das liegt vermutlich daran, dass sich die Östrogenrezeptoren irgendwann zurückbilden, wenn lange kein Östrogen angeboten wird. Deswegen sprechen wir von einem günstigen Zeitraum von etwa fünf bis zehn Jahren, gerechnet ab der letzten Menstruation. In diesem Zeitfenster sollte mit der Hormonersatztherapie begonnen werden. Danach ist es nach heutiger Kenntnis nicht mehr besonders sinnvoll.“  

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Können pflanzliche Alternativen bei Gelenkschmerzen in den Wechseljahren etwas bewirken?

Anna Stamm: „Phytoöstrogene, also bestimmte Arzneimittel aus Pflanzen, können eine östrogen-ähnliche Wirkung am Östrogenrezeptor entfalten und auch bei Gelenkschmerzen schmerzlindernd wirken. Allerdings haben wir hier ähnliche Risiken wie bei dem bioidentischen Östrogen, denn auch sie wirken auf die Östrogenrezeptoren und werden deshalb für Frauen, die schon einmal an Brustkrebs erkrankt sind, nicht empfohlen. Und: Anders als bei der Hormonersatztherapie wissen wir hier aufgrund der schlechteren Datenlage nicht so genau, wie stark diese pflanzlichen Arzneimittel auf die Östrogenrezeptoren wirken. Das beinhaltet eine gewisse Unsicherheit darüber, wie sicher der Einsatz von Phytoöstrogenen insgesamt ist. Eine hormonfreie Alternative könnte Teufelskallenextrakt sein, welches auch bei rheumatischen Gelenkbeschwerden eingesetzt wird.“

Ich rate meinen Patientinnen zu einer Ernährung mit keinem oder wenig Fleisch

Lindert die richtige Ernährung Gelenkschmerzen? 

Anna Stamm: „Die Ernährung spielt beim Thema Gelenkschmerzen in den Wechseljahren eine große Rolle. Gewichtszunahme ist in dieser Phase oft ein großes Thema, auch dafür ist der Östrogenmangel verantwortlich, da sich durch die veränderte Hormonlage auch der Stoffwechsel ändert und Muskulatur abgebaut wird. Und natürlich ist es belastend für die Gelenke, wenn man plötzlich mehrere Kilos zusätzlich durch die Gegend bewegen muss. 

Eine Ernährungsumstellung hin zu mehr pflanzlicher Kost hilft Frauen mit Wechseljahresbeschwerden oft sehr gut, weil sie leichter ist, aber auch, weil sie wegen der sekundären Pflanzenstoffe antientzündlich wirkt und das Schmerzgeschehen positiv beeinflussen kann. Ich rate meinen Patientinnen zu einer Ernährung mit keinem oder wenig Fleisch und verarbeiteten Lebensmitteln, dafür mit viel Gemüse und Obst und einem bewussten Einsatz von Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D.“ Mehr Ernährungstipps für die Wechseljahre hier.

Mit Sport lässt sich auch das Gewicht und damit die Belastung der Gelenke reduzieren. Außerdem sorgen wir mit regelmäßiger Bewegung dafür, dass die Muskeln und Bänder gestärkt werden – die damit die Belastung der Gelenke zusätzlich abfangen. 

Gelenkschmerzen durch Sport & Bewegung lindern

Anna Stamm: „Sport und regelmäßiger Bewegung sind für uns alle – aber besonders für Frauen in der Perimenopause und danach – pure Medizin. Und das gilt in den allermeisten Fällen auch bei Gelenkschmerzen. Wenn wir auf Bewegung verzichten, weil es schmerzt oder knackt, tun wir dem Gelenk in der Regel nichts Gutes. Gelenke müssen in Bewegung bleiben, damit sich genügend Gelenkflüssigkeit bildet. Mit Sport lässt sich auch das Gewicht und damit die Belastung der Gelenke reduzieren. Außerdem sorgen wir mit regelmäßiger Bewegung dafür, dass die Muskeln und Bänder gestärkt werden – die damit die Belastung der Gelenke zusätzlich abfangen. Natürlich sollte man auf das richtige Maß achten, gerade bei einem überbelasteten Gelenk. Empfehlenswert sind vor allem gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Radfahren, sanftes Kraftraining oder Nordic Walking.“ 

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Wie kann ich Gelenkschmerzen in den Wechseljahren rechtzeitig vorbeugen? 

Anna Stamm: „Um Gelenkschmerzen vorzubeugen, sollten Sie einfach alles bisher Gesagte umsetzen, bevor die Schmerzen überhaupt auftauchen. Also: Bei Zyklusveränderungen und anderen einschlägigen Symptomen frühzeitig mit Ihrer Gynäkologin über das Thema Wechseljahre und das Thema Hormonersatztherapie sprechen. Auf eine pflanzenbasierte und nährstoffreiche Ernährung setzen und ihren Fleischkonsum reduzieren. Und natürlich: mit regelmäßigem Sport viel Bewegung und Lebensfreude in ihr Leben holen.“

Frauenärztin Dr. Anna Stamm

Dr. Anna Stamm

Fachärztin für Frauenheilkunde

Anna Stamm ist Fachärztin der Frauenheilkunde und arbeitet als niedergelassene Hausärztin in Helmstedt. Unter dem Namen FrauGyn gibt sie als Medical Influencer auf Tiktok und Instagram ihr Wissen zur Gynäkologie weiter.

Autor(in)

Journalistin für Medizin und Gesundheitsthemen

Qualitätssicherung

Sakhi A. Noori

Mediziner bei der DAK-Gesundheit

Quellenangaben

Updated on:
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