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Computerspielsucht – komplett verzockt?

Bild: Teenager mit Headset spielt an einem Computer

Alltag für viele Eltern: Sofort nach Schule und Hausaufgaben versinken ihre Kinder in einer komplett anderen Welt. Die der Computerspiele und Virtual Reality Games. Bei Bestsellern wie League of Legends, Fortnite oder World of Warcraft schlüpfen die jungen Fans in die Rolle ihres Avatars, kämpfen alleine oder in Teams gegeneinander und probieren kreative Gaming-Techniken aus. Das muss nicht per se schlecht sein, kann Freundschaften generieren, Konzentration und räumliches Denken verbessern. Doch wann wird aus dem phantasievollen Spiel eine Sucht? Und was kann man dagegen tun?

Spaß am Spiel & Flucht aus der Realität

In Deutschland spielen rund drei Millionen Minderjährige zwischen 12 und 17 Jahren regelmäßig am Computer, das sind mehr als 72 Prozent aller Jugendlichen in dieser Altersgruppe. Der Hauptgrund ist – Spaß am Spiel. 75 Prozent geben zudem an, beim Computerspiel „gut abschalten“ zu können. Jeder Zweite spielt, weil Freunde auch spielen. Und knapp 30 Prozent zocken am Bildschirm, um nicht an „unangenehme Dinge“ denken zu müssen.

Besonders durch die lange Pandemie-Zeit haben Computerspiele einen Boom erfahren. Regelmäßiges Gaming war da neben Social Media fast der einzige Weg, um mit Freunden überhaupt in Kontakt zu bleiben. Neben der sozialen Komponente hat das Spiel am Bildschirm weitere positive Seiten. Es erhöht die Konzentrationsfähigkeit, verbessert Multitasking-Fähigkeiten und vergrößert laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Berliner Charité sogar Hirnbereiche, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik wichtig sind. Die Kehrseite der Medaille: schlechter Schlaf, Muskelverspannungen, Kontrollverluste, Vernachlässigung von Hobbys, Schule und anderen Menschen – bis hin zu einer echten Sucht.

Mehr als jeder zehnte Jugendliche ist gefährdet

Doch wie viele Kids sind eigentlich gefährdet, sich in der virtuellen Spiele-Welt zu verlieren? Im Auftrag der DAK-Gesundheit führt das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) seit 2019 Studien zum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland durch. Zu jedem Erhebungszeitpunkt werden dafür rund 1.000 Zehn- bis 17-Jährige sowie jeweils ein Elternteil befragt. Die gute Nachricht der letzten Erhebungswelle aus dem September 2023: Die Nutzungszeiten digitaler Spiele haben erstmalig wieder ein Vor-Corona-Niveau erreicht. Rund 98 Minuten werktags und 168 Minuten am Wochenende verbrachten die Kids an Spielekonsolen, Computern und Tablets.

Nach einer DAK-Studie gelten 15,4 Prozent der Minderjährigen als sogenannte Risiko-Gamer, das sind 465.000 aller Jugendlichen dieser Altersgruppe. Davon werden 4,3 Prozent bereits als computerspielsüchtig eingestuft. Eine zumindest riskante Nutzung haben die Sucht-Experteninnen und -Experten bei 11,1 Prozent der Befragten festgestellt, das ist mehr als jeder Zehnte.

Endlos & abhängig: Die Risiken des Gamings

Viele Kids haben sich beim Gaming trotz aller faszinierenden Eigenschaften der Spiele gut im Griff und kein Risiko, in eine Sucht abzugleiten. Doch was führt bei den mehr als 15 Prozent der Risikogamer dazu, dass sie sich buchstäblich verzocken? Die Ursachen sind unterschiedlich und oft miteinander verknüpft:

  • Open-end: Immer mehr Spiele sind heute so aufgebaut, dass sie sich ständig verändern und kein wirkliches Ende haben. Man kann die virtuellen Welten ganz frei erkunden, von einem Level zum anderen springen und immer weiter aufsteigen, um dort wieder an neuen Battles teilzunehmen. Das vergrößert die Gefahr, davon nicht mehr loszukommen.
  • Sehr persönlich: Viele Games gehen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Spieler ein und berücksichtigen persönliche Fähigkeiten, indem sie sich automatisch anpassen. Das schmeichelt dem Ego, viele Spieler fühlen sich dadurch stärker wertgeschätzt als in der wirklichen Welt.
  • Soziale Zugehörigkeit: Spielt man als Team, hat man oft besonders schnelle Spielfortschritte, fühlt sich einer Gruppe zugehörig und dort anerkannt. Gleichzeitig kann das zu einem Phänomen führen, das auch aus Social Media bekannt ist: FOMO, das ist die Abkürzung für „Fear of missing out“ und bedeutet auf Deutsch „Die Angst, etwas zu verpassen.“  Wer darunter leidet, hat gerade bei Spielen mit mehreren Teilnehmern das Bedürfnis, ständig online mitspielen zu müssen, um ja nichts zu versäumen.
  • Fast real: Von vielen beliebten Computerspielen gibt es inzwischen Virtual-Reality-Versionen (VR). Eine VR-Brille versetzt die Spieler in eine 3D-Umgebung die sich sehr real anfühlt. Je phantasievoller die virtuellen Welten gestaltet sind, desto stärker ist dieses Wie-echt-Gefühl. Je nach Dauer und der Art des Spiels, aber auch der eigenen Persönlichkeit tauchen Gamer teilweise so stark in diese andere Welt ab, dass sie sich nach dem Spiel erst wieder an die Realität gewöhnen müssen.

Computerspielsucht ist weltweit offizielle Erkrankung

Mitte 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Computerspielsucht offiziell in ihrem Standardwerk der Krankheiten ICD-11 als eigenständige Diagnose aufgenommen. Der Grund: Die Problematik tritt weltweit mit vergleichbaren Symptomen auf und beschäftigt rund um den Globus Mediziner und Sucht-Experten.

Symptome: Wie äußert sich eine Computerspielsucht?

Expertinnen und Experten unterscheiden zwischen gefährlichem und süchtigem Gamingverhalten. Riskant kann es bereits sein, wenn Kinder und Jugendlichen plötzlich öfter sowie länger spielen und gleichzeitig Hobbies sowie Aufgaben vernachlässigen. Eine echte Computerspielsucht ist noch mal stärker ausgeprägt. Hier haben die Jugendlichen keine Kontrolle mehr darüber, wie lange und wie oft sie zocken, verbringen teilweise bis zu zehn Stunden am Tag bis in die späte Nacht am Computer. Für sie ist es schwierig, das Gaming überhaupt zu unterbrechen, Mahlzeiten bleiben häufig einfach auf der Strecke. Das Spiel steht an erster Stelle, Hobbies werden nicht mehr wahrgenommen und soziale Kontakte engen sich auf „Spielerfreunde“ im Netz ein.

Ähnlich wie auch bei anderen Süchten versuchen die Kids ihre Familienangehörigen im Hinblick auf den Umfang ihres Gamings zu täuschen. Einige sind sich der negativen Folgen ihrer Spielsucht bewusst, können aber einfach nicht aufhören. All das kann zu Konflikten mit Familie und Freunden, körperlichen Auswirkungen wie Müdigkeit, Muskelverspannungen, Gewichts- oder Augenproblemen, aber auch zu psychischen Auffälligkeiten führen. So berichten etwa 21 Prozent der Risiko-Gamer über Sorgen und Ängste, während es bei den unauffälligen Spielern nur sechs Prozent waren. Deutliche Unterschiede gibt es auch bei der Konzentration, motorischer Unruhe oder aggressivem Verhalten. „Ein riskantes Gaming-Verhalten kann zu verstärkten Schulproblemen führen“, erklärt Studienleiter und Suchtexperte Professor Dr. Rainer Thomasius vom UKE. „Elf Prozent der Risiko-Gamer fehlen innerhalb von einem Monat eine Woche oder mehr in der Schule oder Ausbildung. Das ist etwa drei Mal häufiger als bei unauffälligen Spielern.“

Was Eltern und Kinder tun können

Sie haben als Eltern das Gefühl, dass ihr Kind zu viel Zeit mit Computerspielen verbringt? Dann sollten Sie zunächst versuchen, ein einfühlsames Gespräch mit ihm zu führen. Schildern Sie dabei ihre Sorgen, Bedenken und Beobachtungen ganz offen, bleiben Sie aber möglichst ruhig und sachlich. Doch gerade Kinder und Jugendliche in der Pubertät machen bei solchen gutgemeinten Krisengesprächen oft dicht, wollen nicht darüber reden oder das Problem einfach nicht wahrhaben. Dann kann es helfen, wenn Eltern konstruktiv Medienregeln aufstellen, die dem Kind helfen, die Zockerzeiten am Bildschirm langsam herunterzufahren. Für Kinder zwischen 9 und 12 Jahren empfehlen Experten maximal 60 Minuten Spielzeit am Tag, für Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren ein bis zwei Stunden pro Tag – und zwar bis spätestens 21 Uhr.

Was helfen kann:

  • Kein Komplett-Verbot: Legen Sie gemeinsam Medienzeiten fest, um den Spielekonsum schrittweise zu reduzieren. Radikale Verbote führen eher zu Rebellion oder Heimlichkeiten. Diese Zeiten sollten für das Kind flexibel nutzbar sein, eine wöchentliche Obergrenze kann daher sinnvoller als eine tägliche sein. Ein Tracker für die Bildschirmzeiten kann zusätzlich helfen, das echte Ausmaß der Mediennutzung deutlich zu machen.
  • Platz-Wahl: Computer, Tablet oder Konsole möglichst nicht im Kinderzimmer platzieren, sondern in einem Raum, der von allen Familienangehörigen genutzt wird wie das Wohnzimmer. So können sich Kinder weniger leicht abschotten und in der Spielewelt Raum und Zeit vergessen. Nach dem Spielen sollten die digitalen Medien nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ in einem Schrank aufbewahrt werden
  • Lob statt Druck: Durch kleine Belohnungen, Lob und freundliches Anfeuern können Sie Ihr Kind in der Umsetzung unterstützen. Zwei Wochen Medienzeiten eingehalten? Pizzaessen beim Lieblings-Italiener mit der ganzen Familie!
  • Alternativen ausloten: Versuchen Sie die Hauptgründe ihres Kindes fürs Computerspielen herauszufinden, um gemeinsam mit ihm nach alternativen Aktivitäten zu suchen. Macht ihm vielleicht eine Sportart Spaß, hat es Lust ein Instrument zu lernen? Es gibt inzwischen sogar Tanzschulen, die Fortnite-Tanzkurse anbieten. Hier werden Emotes gelehrt, das sind Tanzbewegungen, die Avatare in Computerspielen ausführen.
  • Konsequenzen bestimmen: Legen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind fest, was bei Regelverstößen passiert. Und fragen Sie es nach den Gründen für den „Rückfall“.
  • Vorbild sein: Wer als Elternteil am Esstisch selbst ständig WhatsApp-Nachrichten beantwortet oder schon beim Zähneputzen die Weltlage in der Nachrichten-App checkt, muss sich nicht wundern, wenn Kinder ein ähnlich exzessives Medienverhalten an den Tag legen.
  • Nicht co-abhängig werden: Einige Eltern fördern die Spielsucht ihrer Kinder unbewusst, indem sie ihnen das Essen an den Bildschirm bringen oder bestimmte Aufgaben für ihr Kind erledigen.

Und wann kommt ein Profi ins Spiel?

Wenn Sie das Gefühl haben, dass aufgestellte Regeln nicht funktionieren, Ihr Kind heillos in der Spielewelt verloren ist oder Sie den Zugang zu ihm verlieren, ist es hilfreich, sich professionelle Hilfe zu suchen. Unabhängigen Experten gegenüber öffnen sich Kinder und Jugendliche oft eher. Erste Anlaufstelle kann der Kinderarzt oder die Hausärztin sein, auch allgemeine Suchtberatungsstellen sind sinnvoll.

Zudem bietet das Internet zahlreiche Hilfsangebote. Die Präventionskampagne „Ins Netz gehen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet beispielsweise eine kostenlose E-Mail-Beratung für Eltern, eine Online-Beratung für Jugendliche, aber auch eine Datenbank-Suche nach bundesweiten Beratungsstellen, Suchtkliniken und niedergelassenen Therapeuten an. 

Angebot der DAK: Hotline & Hilfe

Wie viel Bildschirmzeit ist eigentlich normal und was kann man tun, wenn es zu viel wird? Antworten auf diese und andere Fragen rund um das Thema Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen geben Expertinnen und Experten des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) unter der kostenlosen Rufnummer 0800 2 800 200.
Die Mediensucht-Hotline der DAK-Gesundheit ist jeden Dienstag von 15.30 Uhr bis 19.30 Uhr erreichbar.
Informationen, Tests und Hilfe rund um die Themen Gaming- sowie Online- und Social-Media-Sucht erhalten Betroffene und deren Angehörige auch unter www.computersuchthilfe.info. Das kostenlose DAK-Angebot ist offen für Versicherte aller Krankenkassen. 
Autor(in)

Journalistin/Freie Autorin

Qualitätssicherung

DAK Fachbereich

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