Stationärer Aufenthalt in der Psychiatrie - was Eltern von Jugendlichen wissen sollten
Woran merken Eltern eigentlich, dass ihr Kind psychologische Hilfe braucht und erkennen Depressionen oder andere psychische Erkrankungen?
Thilo Palloks: "Dafür kann man sich gut am Krankheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation orientieren. Der besagt, dass jemand krank ist, wenn – erstens – er oder sie selbst einen Leidensdruck hat aufgrund einer körperlichen oder psychischen Symptomatik. Zweitens, wenn die Umgebung einen Leidensdruck hat. Oder drittens, wenn ich mit meinen schulischen oder ausbildungstechnischen Anforderungen nicht mehr zurechtkomme – oder mit privaten und sozialen Bezügen. Ich denke, das Wichtigste ist aber der Leidensdruck. Leidet das Kind in der Schule oder dem Kindergarten? Und leidet die Familie, darunter, dass es Symptome entwickelt?"
Ab welchem Alter macht eine psychologische Begleitung überhaupt Sinn – gibt es hier eine Grenze?
Thilo Palloks: "Es macht von 0 bis 100 Sinn, sich Hilfe zu holen, also zur Therapie zu gehen und sich dort unterstützen zu lassen. Man kann nicht alles allein machen und das muss man auch nicht."
Was hat die Corona-Zeit mit der Psyche von Kindern gemacht – behandeln Sie in Ihrer Praxis etwa mehr Kinder mit Angststörungen und Verhaltensproblemen?
Was können Eltern tun, damit Kinder eine gesunde Psyche entwickeln?
Thilo Palloks: "Reden, reden, reden. Und Eltern sollten liebevoll, aber strukturiert vorgehen – also sehr viel loben. Das fällt uns oft sehr schwer, unsere Kinder zu loben. Weil die Menschen häufig auch von ihren eigenen Eltern wenig gelobt wurden. Und am besten alles positiv formulieren. Wenn Eltern beispielsweise sagen “Lass den Quatsch” – dann weiß das Kind oft gar nicht, was der Quatsch eigentlich ist. Grundsätzlich brauchen Kinder eine feste Struktur, viele Rituale – so wie Spielrituale – und klare Regeln."
Wann kommt ein Kind in die Kinderpsychiatrie?
Therapieplatz in der Psychiatrie bekommen
Eine Überweisung in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie stellt die behandelnde Person meist im Rahmen einer Psychotherapie aus. Bei der Suche nach einem Therapieplatz steht Ihnen die DAK zur Seite. In Notfällen, etwa wenn ein Kind suizidgefährdet ist, gibt es zudem aufnahmeverpflichtete Kliniken. Auch nachts können Sie ohne Überweisung die Notfallambulanzen der psychiatrischen Kliniken aufsuchen.
In der Kinderpsychiatrie unterscheidet man zwischen einem teilstationären und stationären Krankenhausaufenthalt – was ist dabei der Unterschied?
Thilo Palloks: "Bei einer stationären Aufnahme sind die Kinder für einen bestimmten Zeitraum durchgängig im Krankenhaus, das kann zwischen drei und vier Monate dauern. Dabei geht es gar nicht so sehr um ein Mehr von Therapie, sondern um einen Milieu- und Setting-Wechsel. Ich würde sagen, vollstationär macht dann Sinn, wenn man zum Beispiel Schwierigkeiten hat, morgens und abends aus dem Bett zu kommen. In der Klinik ist man aufgefangen und geschützt und bekommt eine Struktur durch den Klinikalltag und das Personal. Wenn man aber ohnehin gut strukturiert und motiviert ist und sagt: „Ich möchte gerne in die Klinik und etwas verändern” – dann macht eine teilstationäre Behandlung sicher Sinn. Morgens gehen die Kinder dann meistens in die Klinikschule und nachmittags gibt es Therapien, also zum Beispiel Ergo- oder Kunsttherapien. Ein- bis zweimal pro Woche haben sie außerdem Einzelgespräche mit den Bezugstherapeuten. Und dazwischen finden immer wieder medizinische Untersuchungen statt. Abends sind sie dann wieder zu Hause."
Wie können Eltern ihr Kind während eines stationären Aufenthalts im Krankenhaus gut unterstützen?
Thilo Palloks: "Manchmal ist es so, dass Kinder und Jugendliche sich abgeschoben fühlen. Sie denken: „Ich bin das Problem”. Ich bin ein Freund davon dann zu sagen, dass nicht das Kind das Problem ist, sondern dass es ein familiäres Thema ist. Eltern sollten klarstellen, dass es kein Abschieben ist, sondern im Gegenteil ein Liebesbeweis. Es ist ja auch nur ein befristeter Aufenthalt und das Kind kommt – nach Möglichkeit – wieder in die Familie zurück."
Wie schaffen es Kinder und Jugendliche nach einem Klinikaufenthalt ein eigenständiges und glückliches Leben zu führen?
Thilo Palloks: "Wichtig ist, dass man bei einer stationären Behandlung das nach-stationäre gleich mit vorbereitet. Zum Beispiel: Welche Schulform ist die geeignete? Und, dass man am Anfang auf jeden Fall eine Art der Nachsorge macht – etwa über die Klinikambulanz oder bei einer Verhaltenstherapie. Entscheidend ist, ein gutes soziales Netz zu bilden zwischen verschiedenen Institutionen, beispielsweise Schulpsychologen, Therapeutinnen, Psychiatern und Lehrerinnen – und die Eltern mit einzubeziehen."
Thilo Palloks
Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie
Thilo Palloks ist Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie. In seiner Praxis in München diagnostiziert und behandelt er schwerpunktmäßig AD(H)S und Komorbiditäten, Legasthenie und Dyskalkulie, Autismus und Essstörungen.