Wie wirkt der Darm auf Gehirn und Psyche? Interview mit Dr. Thomas Frieling
Psychische Belastungen können auf den Darm schlagen, doch ein kranker Darm macht auch der Seele zu schaffen. Wie eng Darm und Gehirn verbunden sind, wann Stuhltransplantationen wirken und ob Glückshormone im Darm entstehen, erklärt der Krefelder Neurogastroenterologe Thomas Frieling im Interview.
Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Darm und der seelischen Gesundheit?
Thomas Frieling: „Es bestehen auf jeden Fall intensive Verbindungen. Das wissen wir schon länger. Wie der Volksmund bereits sagt: in einem gesunden Körper ruht ein gesunder Geist. Dazu gekommen sind in den letzten Jahren interessante neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Magen-Darm-Trakt und Gehirn. Unsere Gefühle entstehen zwar durch Verarbeitungsprozesse und Empfindungen im Kopf. Seit einigen Jahren weiß man jedoch, dass auch der Magen-Darm-Trakt über Nervenstrukturen, Botenstoffe und Neurotransmitter verfügt. Und dieses „Bauchhirn“ kommuniziert intensiv mit unserem „Kopfhirn“. Auch die Bakterien in unserem Darm übernehmen wichtige Funktionen für das zentrale Nervensystem, genauso wie das Immunsystem, das sich mit der Mehrheit seiner Zellen im Darm befindet. Und wir erkennen immer mehr, wie sehr diese Systeme sich gegenseitig beeinflussen, auch mit Auswirkungen auf unsere psychische Verfasstheit.“
Professor Dr. Thomas Frieling
Direktor der Medizinischen Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologe in Krefeld
Thomas Frieling ist Co-Autor des Buches „Darm an Hirn“. Er gehört zu den Pionieren der jungen Wissenschaft Neurogastroenterologie, die sich mit nervlich bedingten Funktionsstörungen des Verdauungstraktes und dem Zusammenspiel von „Bauchhirn" und „Kopfhirn“ befasst.
Wie funktioniert die Kommunikation zwischen Darm zum Gehirn?
Thomas Frieling: „Der Darm sendet zum einen sehr viele Nachrichten über die aufsteigenden Nervenbahnen zum Gehirn. So bekommt das „Kopfhirn“ immer genau mit, was im Magen-Darm-Trakt passiert, greift aber nur im äußersten Notfall wie zum Beispiel Vergiftungen ein. Interessant ist, dass der Darm ungefähr neunmal so viel Informationen nach oben sendet, wie er selbst an Befehlen vom Gehirn erhält. Neben dem Nervensystem beeinflussen auch Botenstoffe wie Hormone oder Neurotransmitter aus dem Darm die Funktionen im Gehirn.“
Was macht das Gehirn mit den ganzen Infos aus dem Darm?
Stimmt es, dass das Glückshormon Serotonin hauptsächlich im Darm produziert wird?
Thomas Frieling: „Der Magen-Darm-Trakt ist tatsächlich der Ort, an dem die meisten serotoninbildenden Zellen vorhanden sind. Wenn man sie alle zusammenpacken würde, hätten sie etwa die Größe eines Tennisballs. Serotonin übernimmt zahlreiche Funktionen im Magen-Darm-Trakt. Die spannende Frage ist, ob das im Darm produzierte Serotonin tatsächlich über den Stoffwechsel auch die Psyche beeinflussen kann. Ein direkter Übergang in das Gehirn ist wegen der Blut-Hirnschranke nämlich nicht möglich. Es wirkt aber wahrscheinlich aktivierend auf Nervenfasern. Die können dann die Hirnfunktionen so verändern, dass Glücksgefühle entstehen.“
Welche Rolle spielen die Darmbakterien für unsere psychische Gesundheit?
Entstehen Depressionen im Darm?
Sie sprachen eben über die Krankheitsübertragung mittels Stuhl- bzw. Mikrobiomspende. Funktioniert es denn auch umgekehrt? Kann am heute bereits kranken Menschen das Mikrobiom von Gesunden übertragen, um Krankheiten zu behandeln?
Der Wunsch, etwas für die Gesundheit seiner Darmbewohner zu tun, ist sehr groß. Wie seriös sind die gerade sehr beliebten Mikrobiom-Analysen?
Thomas Frieling: „Das Geld kann man sich getrost sparen. Stuhl-Ökogramme, die zeigen, wie viel Lakto- und Bifidobakterien vorhanden sind, Tabellen, die vorgeben zu wissen, ob ein Keim zu häufig oder zu wenig vorhanden ist, das ist alles nicht sehr seriös. Wir müssen das so klar sagen: Wir wissen noch nicht, was eigentlich ein normales oder gar ein ideales Mikrobiom ist. Wir wissen nur, dass alle Erkrankungen, die das Mikrobiom beeinflussen, immer zu einer verringerten Diversität der Bakterienstämme führen. Also einer Verarmung der Vielfalt. Das gilt für Diabetes, Rheuma oder auch Reizdarm: bei Patienten mit diesen Erkrankungen ist die Bakterien-Diversität erkennbar geringer ist als bei den Gesunden.“
Wie sinnvoll ist der Einsatz von Probiotika, also die Einnahme bestimmter Bakterien als Nahrungsergänzungsmittel?
Thomas Frieling: „Auch wenn es in der Werbung oft gesagt wird: Man kann keinen ausgewählten Keim geben, um einen spezifischen Effekt zu erzielen. Meinen Reizdarm-Patienten rate ich trotzdem, es mit Probiotika zu probieren. Damit meine ich keine mit Probiotika angereicherte Nahrung, sondern wirklich Präparate aus der Apotheke. Wenn ein Probiotikum über mehrere Wochen nicht wirkt, kann man halt ein Zweites oder ein Drittes versuchen, das sich im Keimspektrum unterscheidet. Oft findet man dann tatsächlich ein Probiotikum, das günstige Effekte mit sich bringt. Wie es genau zu den Wirkungen kommt, wissen wir allerdings derzeit noch nicht.“
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