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ADHS bei Erwachsenen: Ursachen, Symptome und Therapien

ADHS bei Erwachsenen: ADHS: Mann sitzt gleichzeitig an verschiedenen technischen Geräten.
Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt ADHS als eine Kinderkrankheit. Inzwischen ist bekannt, dass bei fast der Hälfte der Betroffenen die Symptome zumindest teilweise im Erwachsenenalter existieren. Wer als Erwachsener unter ADHS leidet, hat besondere Probleme, sich zu konzentrieren und seine Impulse zu steuern. Im Interview mit dem Psychiater Dr. Julian Hellmann-Regen, Leiter der Spezialambulanz für ADHS an der Berliner Charité, erfährst du, wie die Krankheit bei Erwachsenen diagnostiziert wird und was helfen kann.

Herr Hellmann-Regen, in welchen Lebensbereichen zeigen sich die Folgen von ADHS bei Erwachsenen?

Porträtfoto von PD Dr. med. Julian Hellmann-Regen.

Julian Hellmann-Regen: „Die Auswirkungen reichen von Alltagsproblemen wie nicht bezahlten Rechnungen und versäumten Terminen bis zu beruflichem Scheitern, Konflikten in der Partnerschaft und möglichen Folge- oder Begleiterkrankungen. Die Erfahrung, im Vergleich zum Umfeld anders zu sein, ist für viele Betroffene mit einem labilen Selbstwertgefühl verbunden. Sozialer Rückzug, Depressionen, Angststörungen oder Substanzmissbrauch und -abhängigkeit sind mögliche Folgen von ADHS.“

Weiß man, wie viele Erwachsene betroffen sind?

Julian Hellmann-Regen: „Weltweit leiden etwa fünf Prozent aller Kinder zwischen sechs und 18 Jahren an ADHS. Bei den Erwachsenen erfüllen etwa zwei bis drei Prozent weiterhin die Kriterien einer ADHS. Das sind allein in Deutschland mindestens 1,5 Millionen Menschen.“

Was sind die Unterschiede zu einer ADHS in der Kindheit?

Julian Hellmann-Regen: „Die Symptomatik verändert sich häufig. Die Leitsymptome der ADHS sind mangelnde Aufmerksamkeit, Impulsives Verhalten und Hyperaktivität. Während bei Kindern und besonders bei Jungen die Unruhe in Form von Hyperaktivität, also einem auffällig starken Bewegungsdrang hervortritt, bleibt bei Erwachsenen meist das Symptom der verminderten Aufmerksamkeit bestehen.

Erwachsene mit ADHS vergessen und verlieren oft Dinge. Sie kommen zu spät und es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren – besonders auf etwas, das sie nicht besonders interessiert. Neben beruflichen Schwierigkeiten sind auch private Routineaufgaben wie die jährliche Steuererklärung eine möglicherweise unüberwindliche Hürde. Und das, obwohl sie dies von ihrer Intelligenz und dem Bildungsstand her problemlos könnten.“

Das heißt, Hyperaktivität spielt bei Erwachsenen mit ADHS anders als bei Kindern keine entscheidende Rolle?

Julian Hellmann-Regen: „So kann man es sagen, zumindest spielt Hyperaktivität bei vielen Erwachsenen nicht mehr die Rolle, die sie früher gespielt hat. Erwachsene mit ADHS erleben vielleicht auch das Symptom der Unruhe, dann aber häufiger als Rastlosigkeit oder innere Unruhe. Sie wird weniger nach außen getragen. Diese Unruhe und Spannung, in Verbindung mit erhöhter Impulsivität äußert sich gelegentlich noch in einer Neigung zu unüberlegten Handlungen und für andere unvorhersehbaren Gefühlsschwankungen. Die klassische Hyperaktivität tritt dagegen im Laufe des Erwachsenwerdens mehr in den Hintergrund.“

Wie entsteht ADHS im Erwachsenenalter?

Julian Hellmann-Regen: „ADHS ist ein Syndrom, das auf neurobiologischen Veränderungen beruht und bereits früh in der Entwicklung entsteht. Die ADHS-typischen Veränderungen und Auffälligkeiten fallen also schon in der Kindheit - und nicht erst im Erwachsenenalter auf. Viele Betroffene entwickeln im Laufe ihrer Kindheit und Jugend so gute Bewältigungsstrategien, dass die Symptomatik einer behandlungswürdigen ADHS im Erwachsenenalter nicht mehr gegeben ist. Bei anderen bleibt die ADHS jedoch bestehen.“

Ist das noch Stress oder schon ADHS?

Unaufmerksamkeit, Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten: Viel Symptome einer ADHS sind relativ unspezifisch und treten zum Beispiel auch unter Stress auf.

Wenn du unsicher bist, um was es sich in deinem Fall handelt, zum Beispiel weil es keine ADHS-Vorgeschichte in deiner Kindheit gab, ist es sinnvoll zunächst zu testen, ob die Symptome auch fortbestehen, wenn du nicht gestresst bist. Vielleicht geht es dir schon viel besser, wenn du an einigen Stellen in deinem Leben etwas Druck rausnimmst.

Und wie kommt es, dass manche erst als Erwachsene eine ADHS-Diagnose erhalten?

Julian Hellmann-Regen: „ADHS kann einerseits während der Kindheit aus verschiedenen Gründen nicht erkannt – oder zumindest nicht als ADHS diagnostiziert worden sein. Andererseits gestaltet sich die rückblickende Einordnung etwaiger Symptome in der Kindheit nicht immer ganz einfach. Das liegt vor allem daran, dass es bei der Symptomatik große Überlappungen mit anderen psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel der Borderline-Störung oder der Bipolaren Störung gibt. Die Diagnostik kann sich vor diesem Hintergrund herausfordernd gestalten und profitiert nicht zuletzt von der Qualität auch fremdanamnestischer Angaben. Oft dauert es daher vergleichsweise lang, bis eine gesicherte ADHS-Diagnose vorliegt.“

Wie findet eine Diagnose bei ADHS statt?

Julian Hellmann-Regen: „Zu einer Diagnose gehören bei ADHS nicht nur viele verschiedene Test- und Untersuchungsverfahren, sondern auch umfangreiche Verhaltensbeobachtungen und eine gründliche Familienanamnese. Nur eine ausführliche Anamnese wird der Komplexität des Krankheitsbildes gerecht. Hierzu gehört auch als wichtiger Bestandteil unserer Diagnostik die Würdigung von Schulzeugnissen. Leider ist das das Krankheitsbild ADHS bei Erwachsenen noch vergleichsweise jung und gute Diagnose- und Therapieangebote sind nach wie vor eher rar gesät. Eine gute Anlaufadresse im Verdachtsfall sind zum Beispiel die ADHS-Spezialambulanzen, die es inzwischen bundesweit gibt.“

Was weiß die Wissenschaft inzwischen über die Ursachen von ADHS?

Julian Hellmann-Regen: „Man weiß, dass ADHS zu einem hohen Prozentgrad genetisch bedingt ist. Weitere Risikofaktoren wie Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt sowie familiäre und soziale Bedingungen in der Kindheit begünstigen die Erkrankung zusätzlich. Sicher ist auch, dass Menschen mit ADHS anders wahrnehmen, fühlen, erinnern und denken. Selbst für die Form des Gehirns konnten in bildgebenden Studien Veränderungen gefunden werden. Was natürlich nicht heißt, dass wir Patienten bereits am MRT-Bild erkennen können.“

Sie sagen, das Gehirn ist bei ADHS verändert. Können Sie das etwas genauer erklären?

Julian Hellmann-Regen: „Bei ADHS hat das Gehirn Schwierigkeiten damit, die Informationsaufnahme zu hemmen und sich so vor Reizüberflutung zu schützen. Verantwortlich dafür scheinen Veränderungen in der Signalübertragung durch bestimmte Botenstoffe zu sein, sogenannte Neurotransmitter. Eine relative Unter- oder Überstimulation in bestimmten Regionen des Gehirns begünstigt dann die typischen Verhaltensweisen. Eine besondere Rolle spielen dabei die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin, die nicht lang genug ihre Wirkung entfalten können. Der älteste Wirkstoff zur Linderung der Symptome von ADHS: Methylphenidat, bekannt unter dem Namen Ritalin, wirkt, indem er die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin in bestimmten Bereichen des Gehirns erhöht. Das führt dazu, dass empfangene Reize wieder besser gefiltert werden können.“

Kann man ADHS nur mit Psychopharmaka behandeln?

Julian Hellmann-Regen: „Nein. Obwohl die beschriebenen biochemischen Prozesse im Gehirn stattfinden, sind Betroffene ihnen nicht einfach ausgeliefert. Sie können auch durch ein für sie angepasstes Lebens- und Verhaltenskonzept ihren Alltag, ihr psychisches Wohlbefinden und sogar die Biochemie ihres Gehirns aktiv beeinflussen. Medikamente sind also nur ein Element in einem ganzen ‚Werkzeugkasten‘, mit dem man ADHS behandeln kann. Viele Betroffene berichten, dass sie mit Medikamenten zwar besser ‚funktionieren‘, aber erst eine persönliche Strategie, mit der eigenen Diagnose umzugehen, und vor allem der Schritt, sich mitsamt seiner Besonderheit so anzunehmen und zu mögen, wie man ist, ihnen wirklich geholfen hat, sich dauerhaft besser zu fühlen.“

Ist eine ADHS heilbar?

Julian Hellmann-Regen: „ADHS ist gut behandelbar und viele Betroffene erfüllen nach einer auf sie angepassten Therapie nicht mehr die die Kriterien einer ADHS.“

Was hilft bei ADHS?

Julian Hellmann-Regen: „Die Erkrankung ist in ihrem Schweregrad und Störfeldern so individuell ausgeprägt, dass für jede Betroffene und jeden Patienten ein persönlich passendes Therapiekonzept entwickelt werden sollte.

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Meditationen und Übungen zur Stressbewältigung

Bei einer schwachen ADHS kann bereits die Diagnose und eine Erklärung der sporadisch auftretenden Symptome in Verbindung mit passenden Tipps für den Alltag ausreichend sein. Routinen, feste Orte und Zeiten, Erinnerungszettel an wichtigen Orten wie dem Kühlschrank, der Haustür, im Auto und ein Strukturplan für den Alltag sind oft eine wirksame Unterstützung für die Betroffenen. Vielen hilft auch der Einsatz von Entspannungstechniken und körperlicher Bewegung. Besonders Kraftsportarten bieten nach Erfahrungsberichten eine sehr gute Möglichkeit, die innere Unruhe ab- und Konzentration aufzubauen.

Für mittelschwere Fälle ist oft zusätzlich eine Verhaltenstherapie geeignet. In ihr können die Betroffenen spezielle Bewältigungsstrategien erlernen. Dazu kann zum Beispiel auch ein Jobwechsel gehören. Sollte es nötig sein, kommt zusätzlich eine medikamentöse Therapie, zum Beispiel mit Methylphenidat, zum Einsatz, um die Konzentration der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn zu erhöhen.“

Tipps für mehr Aufmerksamkeit im Alltag, die nicht nur bei ADHS, sondern allgemein bei Reizüberflutung und Stress nützlich sind:

  • Schaff dir Routinen, für alles, was wichtig ist. Denn was immer gleich abläuft, benötigt weniger Aufmerksamkeit.
  • Deponiere Gegenstände wie den Haustürschlüssel, die Brieftasche, Sportsachen usw. immer an einem festgelegten Ort.
  • Ein Strukturplan für den Tag ist vorteilhaft. Schreibe dir kleine Listen als Erinnerungshilfen für unterwegs.
  • Nimm dir nicht zu viel vor und unterteile größere Aufgaben auf mehrere Schritte.
  • Klebe dir Erinnerungshilfen dahin, wo du sie benötigst, zum Beispiel an die Haustür, am Kühlschrank, im Auto.
  • Auch Fotos von Dingen und Situationen, an die du denken möchtest, sind gute Erinnerungshilfen.
  • Notiere deine Termine und Aufgaben in einem Kalender oder lass dich von deinem Handy erinnern.
  • Sport und Entspannungstechniken helfen deinem Gehirn, im Alltag entspannt zu bleiben.
  • Bei Situationen, die dich stressen, atme tief ein- und lang aus und geht in dich, bevor du voreilig handelst.

Selbsthilfegruppen

Du möchtest noch mehr über ADHS erfahren oder dich mit Betroffenen austauschen? Selbsthilfegruppen zum Thema ADHS gibt es inzwischen bundesweit und auch online:

Autor(in)

Journalistin für Medizin und Gesundheitsthemen

Quellenangaben

Updated on:
040 325 325 555

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