Patientenverfügung: So bestimmen Sie, wie Sie im Notfall behandelt werden wollen
In Ihrem Sinne entscheiden, wenn Sie nicht dazu in der Lage sind: Eine Patientenverfügung kann Im Notfall für Ihre Angehörigen und die Menschen, die Sie behandeln, eine große Hilfe sein. Im Interview erklärt Privatdozent Dr. med. Johannes Kluwe, warum es sinnvoll ist, eine Patientenverfügung zu haben und was Sie bei der Erstellung und Aufbewahrung beachten sollten.
Was ist eine Patientenverfügung und warum ist sie so wichtig für mich?
Dr. med. Johannes Kluwe: „In der modernen Medizin gibt es immer wieder Situationen, in denen nicht ein einziger Behandlungsweg eindeutig richtig ist. Dann ist es erforderlich, dass man abwägt, welcher Therapieerfolg mit welcher Wahrscheinlichkeit durch eine bestimmte Maßnahme erreicht werden kann und wieviel Belastung durch so eine Maßnahme der betroffene Mensch dafür auf sich nehmen muss.
Normalerweise treffen die behandelnden Personen solche Entscheidungen in einem persönlichen Gespräch mit dem Patienten oder der Patientin. Aber das erlaubt nicht jeder Krankheitsverlauf, zum Beispiel wenn Sie bewusstlos oder verwirrt sind oder in Narkose liegen. Dann ist es hilfreich und wichtig, wenn Sie sich im Voraus schon Gedanken gemacht haben, welche Behandlungsmaßnahmen und Behandlungsziele Sie sich wünschen – oder auch nicht wünschen. Dies halten Sie in der Patientenverfügung fest. Sie hilft den behandelnden Personen und Ihren Angehörigen, Ihren Patientenwillen zu würdigen und so über die weitere Therapie zu entscheiden.“
Brauche ich neben der Patientenverfügung auch eine Vorsorgevollmacht?
Vorsorge für den Notfall
Diese Verfügungen und Vollmachten sind sinnvoll.
Dr. med. Johannes Kluwe: „In der Patientenverfügung beschreiben Sie bestimmte Wünsche und Wertevorstellungen für den Fall, dass Sie sich nicht zu Behandlungsmaßnahmen und Therapiezielen äußern können. Aber Sie können nicht jede Behandlungssituation im Detail vorhersehen. Dann ist es wichtig, dass Sie im Vorfeld eine Vertrauensperson bestimmt haben, die nach Ihrem mutmaßlichen Willen an Ihrer Stelle entscheiden kann. Diese Festlegungen, welche Person welche Entscheidungen treffen soll, stehen in einer Vorsorgevollmacht. Die bevollmächtigte Person kann dann, natürlich auch in Kenntnis der Patientenverfügung, in Ihrem Sinne entscheiden. Ich würde empfehlen, beides anzufertigen, vor allem für Menschen mit einer schweren Krankheit.“
Welche Informationen sollte meine Patientenverfügung unbedingt enthalten?
Dr. med. Johannes Kluwe: „Erst einmal ist natürlich wichtig, dass Sie in dem Dokument eindeutig identifiziert werden können und dass Sie die Patientenverfügung händisch unterschrieben haben. Dann gilt als generelles Prinzip: Je genauer die Patientenverfügung auf mögliche Krankheitsbilder und Behandlungsmaßnahmen eingeht, desto präziser kann der Wille des Patienten oder der Patientin befolgt werden. Fragen dazu können Sie zum Beispiel mit der Hausärztin oder dem Hausarzt klären, damit ganz individuell auf Ihre persönlichen Wünsche eingegangen wird.
Manche Menschen haben Sorge, dass sie zu viel Behandlung bekommen, die sie aber gar nicht wollten. Andere haben wiederum Sorge, dass ihnen intensive Therapie, die vielleicht helfen könnte, vorenthalten wird, weil sie zum Beispiel schon alt sind. Sie können in der Patientenverfügung also sowohl die Ablehnung von Therapiemaßnahmen festhalten wie auch die Wünsche nach Therapiemaßnahmen – die aber natürlich im Rahmen des medizinisch Sinnvollen sein müssen.“
Textbausteine für Ihre Patientenverfügung
Viele Organisationen bieten Formulierungshilfen an. Rechtssicherheit bieten die Broschüren, Muster-Formulare und Textbausteine des Bundesministeriums der Justiz (BMJ).
Können Sie Beispiele für medizinische Situationen nennen, die ich in meiner Patientenverfügung berücksichtigen sollte?
Dr. med. Johannes Kluwe: „Ja, zum Beispiel die maschinelle Beatmung, entweder über eine Maske oder über einen Beatmungsschlauch, der in die Luftröhre eingeführt wird. Bei Menschen, die nicht mehr aus eigener Kraft atmen können, verlängert eine maschinelle Beatmungstherapie vielleicht das Leben. Aber es gibt Situationen, wo zu erwarten ist, dass die Beatmung ein Dauerzustand bleibt. Wie Menschen mit dieser belastenden Situation umgehen wollen, halte ich für einen wichtigen Punkt.
Ein anderes wichtiges Beispiel ist die künstliche Ernährung in Situationen, in denen Menschen sonst nicht mehr ausreichend Nährstoffe und Flüssigkeit zu sich nehmen würden. Auch das ist eine sehr individuelle Entscheidung, über die Sie sich schon vorab Gedanken machen sollten.
Den gewünschten Umgang mit dem Thema Wiederbelebungsmaßnahmen halte ich ebenso für einen bedeutsamen Punkt, den Sie in der Patientenverfügung festhalten sollten. Und eine weitere Frage, die Sie klar entscheiden können, ist: Möchte ich ein maschinelles Dialyseverfahren, wenn meine Nieren nicht mehr eigenständig funktionieren?
Wo sollte ich meine Patientenverfügung aufbewahren?
Wie gehen Sie in der Praxis mit Patientenverfügungen um? Und was machen Sie im Notfall, wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist?
Dr. med. Johannes Kluwe: „Wir fragen Patientinnen und Patienten routinemäßig, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Wenn jemand schwerkrank und nicht ansprechbar bei uns in der Klinik eintrifft, dann fragen wir Angehörige, ob eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung existieren, damit wir die Festlegungen dort nach Möglichkeit kennen.
Natürlich ist es in der Realität gar nicht so selten, dass keine Patientenverfügung vorliegt. Dann müssen wir nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Erkenntnissen der Untersuchungsergebnisse, die uns zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, entscheiden, welche Maßnahmen eine sinnvolle Perspektive auf eine Besserung des Zustands des Patienten oder der Patientin haben. Das ist immer eine Abwägung zwischen dem zu erwartenden Nutzen für die betroffene Person und Ihrer Belastung.
Manchmal kommt es auch vor, dass wir als Behandler oder Behandlerin eine Entscheidung gegen bestimmte Maßnahmen nicht nachvollziehen können. Dann suchen wir das direkte Gespräch und fragen die betroffene Person zu ihren Sorgen und Ängsten: Wenn wir ihr diese Ängste nicht nehmen können, respektieren wir die Entscheidung natürlich.“
Sollte ich meine Patientenverfügung regelmäßig aktualisieren?
Dr. med. Johannes Kluwe: „Als Mediziner erlebe ich, wie oft und wie schnell Menschen ihren Willen und auch ihre Überzeugungen verändern. Zum Beispiel wenn sie mit bestimmten Beschwerden konfrontiert sind oder wenn sie die Realität einer Behandlung erleben, die entweder viel weniger belastend ist als befürchtet oder anstrengender als gedacht. Das dramatischste Beispiel sind Menschen, die keine Wiederbelebungsmaßnahmen laut Patientenverfügung wollen, dann aber einen überraschend guten Behandlungserfolg haben und sich wieder auf das Leben freuen. Deshalb ist es aus meiner Sicht gut, wenn Sie das regelmäßig überdenken und vielleicht einmal im Jahr aktualisieren. Auf jeden Fall eine Aktualisierung durchführen sollten Sie, wenn eine neue schwerwiegende Diagnose gestellt wurde.“
Welche technischen Entwicklungen sehen Sie für Patientenverfügungen in den kommenden Jahren?
Dr. med. Johannes Kluwe: „Die Medizin wird zunehmend digitalisiert, was Dokumentation, Befundspeicherung oder den Austausch von Untersuchungsergebnissen angeht. Gerade für die Einsehbarkeit von solchen Dokumenten wie der Patientenverfügung ist die Digitalisierung sicher sehr hilfreich. Vorstellbar wäre auch ein System, das Patientinnen und Patienten regelmäßig daran erinnert, ihre Patientenverfügung zu aktualisieren oder zu bestätigen, um zu verhindern, dass alte Überzeugungen noch irgendwo gespeichert sind.
Ansonsten ist die Patientenverfügung für mich ein zutiefst analoges Thema, das man am besten im zwischenmenschlichen Gespräch angeht und nicht einem KI-gesteuerten Entscheidungsweg überlässt. Es gibt viele Aspekte, die elektronisch gar nicht gut erfasst oder quantifiziert werden können, wie etwa die Motivation oder der Therapiewille von Patientinnen und Patienten.“
Dr. med. Viola Sinirlioğlu
Ärztin bei der DAK-Gesundheit
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