Wie viel Selbstoptimierung ist noch gesund?
Laut Statista sind drei Viertel aller Deutschen nicht zufrieden mit ihrem Gewicht. Viele versuchen ständig, mit Sport, Ernährung und Disziplin den Traumkörper zu erreichen. Wo sind da die Grenzen? Wie viel Optimieren ist gesund? Influencerin Louisa Dellert und Aglaja Stirn, Professorin für psychosomatische Medizin, sprechen über den gefährlichen Körperwahn.
Selbstkritik statt Selbstliebe
Jeden Tag tragen uns die Beine zum Bus, in die Arbeit, zum Einkaufen, in die Küche und ins Bett. Jede Minute sorgt der Bauch dafür, dass die wichtigsten Organe geschützt sind und wir gut ernährt sind. Dennoch können die meisten Frauen und Männer diese und andere Körperteile überhaupt nicht leiden: Die Cellulite sieht furchtbar aus, die Speckringe sind ekelig, die Arme zu schwach, der Po zu flach … Die Liste an Unzulänglichkeiten ist häufig endlos. Laut dem XXL-Report der DAK-Gesundheit und Statista sorgt sich mehr als jeder dritte Deutsche ständig, zu dick zu sein. Die Gründe dafür liegen häufig in der Kindheit.
Warum haben wir ein verzerrtes Körperbild?
Die Gründe für ein verzerrtes Körperbild sind vielschichtig: In unserer heutigen Gesellschaft müssen die meisten nicht mehr körperlich für ihre Nahrung arbeiten, Fast Food ist besonders billig, körperliche Aktivität fehlt – der Zusammenhang von Bewegung und Nahrungsaufnahme existiert quasi nicht mehr. Gleichzeitig sehen wir in TV und im Internet eine Flut von vermeintlich perfekten Körpern! Die unglaubliche Zahl: 400 bis 600 Werbeanzeigen prasseln täglich auf uns ein, jede elfte davon enthält Botschaften zu Schönheitsidealen. Und in den sozialen Medien ist Bodyshaming – also negative Kommentare zu Körpern, die nicht dem aktuellen Schönheitsideal entsprechen – auf der Tagesordnung.
Das führt dazu, dass wir selbst auch gefährlich dünn sein wollen. Und da unser Alltag automatisch immer bewegungsärmer wird, werden viele angestachelt, übermäßig viel Sport zu treiben und ganz besonders auf die Ernährung zu achten.
DAK-Podcast: Ganz schön krank, Leute!
In unserer Podcast-Reihe spricht Moderator René Träder (Foto) mit spannenden Menschen über ihre persönlichen Erfolge und Misserfolge und fragt, was sie antreibt und was sie aus Rückschlägen gelernt haben. Jetzt reinhören!
Wann wird Selbstoptimierung gefährlich?
Konkrete Untergrenzen sind schwierig zu benennen, da jeder Körper unterschiedlich ist. Auch Einheiten, wie der Body-Mass-Index sind nicht immer hilfreich, da beispielsweise ein Körperbau mit schmalen Schultern und kleineren Gelenken den BMI verringert.
Daher muss man hier auf die Psyche gucken. Aglaja Stirn, Professorin für Psychosomatische Medizin und Sexualmedizin an der Universität Kiel: „Es wird kritisch, wenn ein persönlicher Leidensdruck entsteht. Bei Betroffenen einer Mager- oder Sportsucht stehen Bewegung und Ernährung immer oben auf der Agenda. Berufliche Pflichten können nicht mehr voll wahrgenommen werden, soziale Kontakte werden vernachlässigt. Ein klarer Hinweis ist auch, wenn die Freiwilligkeit durch Notwendigkeit ersetzt wird, wenn also nicht mehr gilt: ‚Ich will gern Sport machen‘, sondern: ‚Ich muss Sport machen‘.“
Das Tückische: Betroffene können die gefährliche Grenze selbst oft nicht erkennen. Und das Umfeld hat es schwer, etwas auszurichten, da diejenigen häufig leugnen, ein Problem zu haben.
Influencerin Louisa Dellert in der Sportsucht
„Fitnessmodels haben häufig gar nichts mehr mit Fitness zu tun, sondern nur noch mit schlank bzw. dürr sein! Die jüngere Generation, die Teenager, die sehen sich das in den sozialen Medien an, nehmen das als Idol. Ich finde das gefährlich. Damals brachte es mich dazu, dreimal am Tag Sport zu machen und nur noch Salat zu essen. Ich wollte geliebt werden und Beachtung bekommen. Und ich dachte, das geht nur, wenn man mich total hübsch findet. Ich hab aber nicht in Betracht gezogen, dass Menschen das auch tun, wenn ich einen tollen Charakter habe, fröhlich bin“, sagt Louisa Dellert.
Der Weg aus der Körperwahn-Krise
Heute hat Louisa Dellert rund 500 000 Abonnenten auf Instagram, die sie nicht mehr für ihren dürren Körper bewundern, sondern für ihre Stärke, ihr Selbstbewusstsein, ihre Hartnäckigkeit, ihren Einsatz für die gute Sache und ihr jetzt gesundes Verständnis für ihren Körper. „Was für mich aber weiterhin fehlt? Kampagnen genau an der Stelle, wo diese ganze Fitness-Werbung und Schönheitsideale gezeigt werden: Auf Instagram, Facebook, YouTube – da müsste noch mehr gemacht werden“, so die Influencerin.
Wie geht man im Privaten mit Nahestehenden um, die drohen ein krankhaftes Verhalten zu entwickeln? Stirn erklärt: „Es gibt leider kein Patentrezept. Aber gewisse Dinge können Familien und Freunde beachten: Bei einer Essstörung kann das Umfeld den Betroffenen z.B. dazu motivieren, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist außerdem hilfreich, sich als Angehöriger selbst zu informieren: Was bedeutet eine Essstörung? Wie verläuft sie und wie wirkt sie sich auf Körper und Psyche aus?“ Je besser man als Angehöriger Bescheid weiß, desto hilfreicher ist man.
Gegenüber dem Betroffenen sollte das Problem offen angesprochen werden. „Allerdings sollte sich das Gespräch weniger auf das Gewicht richten, sondern vielmehr auf die Verhaltensänderung beziehen. Achtung: Abstreiten ist eine natürliche Reaktion der Betroffenen. Wichtig ist es, sich nicht abweisen zu lassen – Eltern oder der Partner sollten auf den Arztbesuch bestehen!“
Lasst es nicht so weit kommen!
In einer Welt, in der ungesunde Schönheitsideale regieren, ist es nicht einfach, für sich eine natürliche, gesunde Sichtweise zu behalten. Denn das Lamentieren über die Cellulite, den Rettungsring am Bauch oder die wenigen Muskeln gehört ja fast schon zum guten Ton. Und hier kann man ansetzen, weiß die Expertin: „Es gibt bestimmte Schutzfaktoren, die Suchtstörungen entgegenwirken können. Das Umfeld ist hier sehr wichtig: Eine gute gemeinsame Esskultur in der Partnerschaft und im Freundeskreis können helfen, außerdem kann man über vorherrschende Schönheitsideale sprechen und diese kritisch hinterfragen.“ Ein gesundes Miteinander ist also auch ein Schlüssel dafür, dass der Einzelne gesund bleibt!
Macht euch gegenseitig stark – mit diesen Komplimenten
Immer eine gute Sache: Komplimente machen, die nichts mit dem Körper zu tun haben! Ein paar Ideen:
- Ich bewundere deine Art, mit Herausforderungen umzugehen!
- Ich liebe dein Lachen.
- Du strahlst so viel Optimismus aus.
- Ein Gespräch mit dir macht mich fröhlich!
- Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben.
- Du bist ein herzlicher Mensch!
- Bei dir kann ich so sein wie ich bin, muss mich nicht verstellen.
- Du hast eine tolle Art, die Welt zu sehen.
- Du kannst so gut zuhören.
- Ich liebe deinen Klamottengeschmack.
- Du inspirierst mich!
- Ich liebe es, mit dir zusammenzuarbeiten.
- Du hast ein wundervolles Wesen.