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Umut Özdemir: "Sexualität ist immer noch ein tabuisiertes Thema – das will ich ändern"

Psychotherapeut Umut Özdemir von Doktorsex
Umut Özdemir ist Psychologe und Psychotherapeut. Seine Faszination für Menschen und dem, was sie bewegt, denken, fühlen und wahrnehmen führte ihn dazu, Psychologie zu studieren und sich anschließend auf Sexualität zu spezialisieren. Als Paartherapeut begleitet er Paare in eigener Praxis, hält Vorträge, schreibt Bücher ("Leichter lieben: Weil Beziehung auch einfach geht") und bei @Doktorsex ergänzt er die Aufklärungsarbeit von Urologe Volker Wittkamp und Gynäkologin Dr. Sheila de Liz.

Hier spricht Umut Özdemir über Sex, Selbstakzeptanz und Gefühle, die gefühlt werden wollen:  

Warum bist du Psychologe geworden?

Umut: "Ich finde Menschen faszinierend – aber mehr als den Körper fasziniert mich, wie wir alles Wahrnehmen, wie wir Denken und uns Verhalten. Also wie unser Gehirn Informationen verarbeitet und was dann daraus gemacht wird. Das ist auch die Beschreibung der Psychologie als Wissenschaft, daher lag das für mich nahe, dieses Fach zu studieren."

Wie können wir uns deine Arbeit vorstellen?

Umut: "Mittlerweile bin ich Psychologe und Psychotherapeut, das sind erstmal zwei unterschiedliche Berufe. Psycholog:innen sind ausgebildet für die Wissenschaft und Forschung, das mache ich nicht mehr. Ich arbeite mittlerweile als Psychotherapeut in eigener Praxis, schreibe Bücher über Psychotherapie, kläre auf Social Media auf und doziere, genauer gesagt bringe ich angehenden Psychotherapeut:innen bei, wie sie sexuelle Probleme mit Psychotherapie beheben können. Mein Berufsalltag wechselt daher zwischen Praxis und Schreibtisch. Menschen mit psychischen Diagnosen vereinbaren Termine bei mir und wir versuchen ihre Symptome durch Reden zu lösen – wir beleuchten dabei alle Faktoren, die die Symptome ausgelöst haben könnten, aber auch aufrecht erhalten und besprechen gemeinsam was die jeweilige Person dagegen machen könnte."

Was liebst du an deinem Job als Psychotherapeut?

Umut: "Ich finde meinen Job total spannend, weil mir Menschen ihr Innerstes anvertrauen, manchmal sogar auch Dinge, die ihre Familien oder Partner:innen nicht wissen. Gleichzeitig freut es mich immer zu sehen, wenn jemand Fortschritte macht und es der Person Stück für Stück ein bisschen besser geht und sie mit ihrem Leben besser klarkommt."

Warum ist Sexualität Schwerpunkt deiner Arbeit geworden?

Umut: "Sexualität ist immer noch ein tabuisiertes Thema – es wird an den allermeisten Universitäten weder im Medizin- noch im Psychologiestudium gelehrt. Auch in den Weiterbildungen nach dem Studium wird das Thema oft ignoriert, dabei ist es so ein zentraler Punkt unseres Lebens. Da wollte ich ein Gegengewicht setzen und mich einem Thema innerhalb der Psychologie und Psychotherapie widmen, vor dem viele andere leider ihre Augen verschließen."

Was ist eine gesunde Sexualität?

Umut: "Gesund ist im Zusammenhang mit Sexualität ein seltsames Wort zugegebenermaßen, aber vielleicht können wir es wie folgt definieren: Eine gesunde Sexualität ist das sexuelle Verhalten, dem wir freiwillig einwilligen und bei dem wir weder uns selbst noch anderen Menschen schaden zufügen."

Mit welchen Problemen konsultieren dich Jugendliche und wie kannst du ihnen helfen?

Umut: "Ich bin Erwachsenen-Psychotherapeut, d.h. ich arbeite vorrangig mit Menschen ab 18. Da wir aber leider wissen, wie schwierig die Psychotherapieplatz-Suche ist, darf ich auch Hilfesuchende unter 18 behandeln. Die Probleme können hier vielfältig sein: Von Angststörungen, über Depressionen, bis hin zu Unsicherheiten oder Problemen mit der sexuellen Orientierung oder dem Körper ist alles dabei."

Die Teenie-Phase ist eine Zeit der Veränderung und oftmals auch vieler Selbstzweifel. Wie können Jugendliche lernen, sich selbst so anzunehmen, wie sie sind?

Umut: "Ich halte es für sehr wichtig, sich mit realistischen Menschen zu vergleichen, sowohl was den Körper, als auch was die Lebensgestaltung angeht. Was wir z.B. auf Social Media von manchen Influencer:innen sehen ist nur ein Ausschnitt aus dem Leben und nicht das komplette Leben. Gleichzeitig hoffe ich, dass jeder Mensch mindestens eine enge vertraute Ansprechperson hat, an die man sich mit Problemen und Gedanken wenden kann."

Woran erkennen Jungen und Mädchen, ob ihre Fragen und Probleme „normal“ sind oder ob sie sich doch lieber einem Psychologen oder einer Psychologin anvertrauen sollten?

Umut: "Das kann sich manchmal schwierig gestalten, weil man es vielleicht gar nicht anders kennt als das Problem zu haben und es vielleicht sogar schon für total normal hält, dass man Symptome hat. Ein guter Anhaltspunkt kann es sein, sich im Umfeld (Familie, Klasse, Freundeskreis, etc.) umzuschauen und versuchen herauszufinden, ob es anderen auch so geht, oder ob die meisten diese Probleme nicht haben. Wenn es so scheint, dass die meisten diese Probleme eher nicht haben, dann kann es hilfreich sein, einen Termin in einer Psychotherapie zu vereinbaren."

Warum ist es so wichtig, über seine Gefühle zu sprechen?

Umut: "Über Gefühle zu sprechen hilft vor allen Dingen erstmal dabei, sie wahrzunehmen, zu verstehen, dass sie da sind. Dann kann man dazu übergehen, sie zu akzeptieren. Man fühlt sich halt in einem bestimmten Moment so, daran ist nichts verwerfliches. In einem nächsten Schritt kann man das Gefühl aber auch in Frage stellen: Manchmal sind Gefühle nämlich trügerisch. Und dann kann man Gefühle auch bearbeiten und sie eventuell sogar verändern, sodass man sich in der Zukunft in ähnlichen Momenten nicht mehr so fühlt wie bisher."

Was passiert, wenn Teenager ihre Probleme und die Dinge, die sie stark belasten, verdrängen?

Umut: "Im schlimmsten Falle kann es wie bei einem Fass, das überläuft, sein. Man hält es vielleicht nicht mehr aus und ist völlig fertig oder nur noch traurig oder nur noch wütend. Oder man wird vielleicht völlig gefühlskalt und spürt so gut wie gar nichts mehr. All das kann dazu führen, dass man sich aus seinem sozialen Umfeld zurückzieht und einsam wird, weil man nicht mehr in Situationen kommen möchte, in denen man das unangenehme Gefühl verspüren würde. Man versucht sich quasi selbst vor unangenehmen Gefühlen zu schützen aber landet schlimmstenfalls in der Einsamkeit."

Welchen Rat hast du für heranwachsende Jungen und Mädchen in Sachen Selbstakzeptanz?

Umut: "Menschen sind unterschiedlich. Körper sind unterschiedlich. Und Schönheit liegt immer in den Augen der betrachtenden Person, also den anderen. Vielleicht finden wir manche Dinge an uns weniger schön, aber andere finden genau diese Sachen besonders schön."

Was müsste sich aus deiner Sicht in Sachen sexueller Aufklärung ändern, damit Heranwachsenden ein gesundes Bild von Sexualität vermittelt wird?

Umnut: "Vor allem in der Schule, im Aufklärungsunterricht, müssten mehr Themen behandelt werden: Die Psychologie des Begehrens, Lust, Gefühle, verschiedene sexuelle Orientierung, verschiedene sexuelle Spielarten und ganz wichtig: Einwilligung und Freiwilligkeit muss besprochen werden!"

Hast du weitere Fragen, Themenwünsche oder etwas anderes auf dem Herzen? Dann schreib uns: doktorsex@dak.de! Wir freuen uns, von dir zu hören.

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