Sachsen: Jedes vierte Schulkind hat psychische Probleme
Dresden, 5. Dezember 2019. Ein Viertel aller Schulkinder in Sachsen zeigt psychische Auffälligkeiten. 1,6 Prozent aller Jungen und Mädchen zwischen zehn und 17 Jahren leiden an einer diagnostizierten Depression und 2,2 Prozent unter einer Angststörung. Hochgerechnet sind insgesamt knapp 10.000 Schulkinder in Sachsen betroffen. Das zeigt der aktuelle Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit „Ängste und Depressionen bei Schulkindern“. Mädchen sind dreimal so häufig von Depressionen und fast doppelt so häufig von Angststörungen betroffen wie Jungen. Für die Versorgung depressiver Schulkinder gibt die DAK-Gesundheit in Sachsen im Jahr pro Kopf durchschnittlich 2.710 Euro mehr aus als für seelisch gesunde Gleichaltrige.
Im Auftrag der DAK-Gesundheit hat die Universität Bielefeld die Gesundheits- und Versorgungssituation von Jungen und Mädchen in Sachsen umfassend untersucht. Die repräsentative Studie mit Abrechnungsdaten aus 2016 und 2017 nimmt insbesondere die seelische Gesundheit von Jungen und Mädchen in den Fokus. „Wir wollen das Tabu brechen, das psychische Erkrankungen noch immer umgibt“, sagt Christine Enenkel, Leiterin der DAK-Landesvertretung in Sachsen. „Die betroffenen Kinder leiden oft für sich im Stillen, bevor sie sich jemandem anvertrauen und eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen aufmerksamer werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein – und nachhaltig helfen.“
Ängste und Depressionen treten auch parallel auf
Ein Viertel aller Jungen und Mädchen in Sachsen ist von einer psychischen Erkrankung oder Verhaltensstörung betroffen. Vor allem jüngere Schulkinder fallen am häufigsten durch Entwicklungsstörungen auf, zu denen Sprach- und Sprechstörungen gehören. Auch Verhaltensstörungen, wie etwa ADHS sind verbreitet. Seltener, aber von hoher Relevanz für die Versorgung, sind affektive Störungen, zu denen auch die Depressionen gehören. 1,6 Prozent aller DAK-versicherten Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 17 Jahren sind so stark betroffen, dass sie einen Arzt aufsuchen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Depressionshäufigkeit 2017 in Sachsen um fünf Prozent gesunken. Mädchen leiden deutlich häufiger als Jungen. Mit einer diagnostizierten Angststörung kämpfen 2,2 Prozent aller Schulkinder. Hochgerechnet auf alle Kinder und Jugendlichen in Sachsen entspricht dies knapp 10.000 mit Angststörungen oder Depressionen. Diese Störungsbilder treten auch parallel auf: Mehr als jeder sechste Heranwachsende mit einer diagnostizierten Depression hat parallel auch eine Angststörung.
Depressionen und Angststörungen zählen nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den schwerwiegendsten Leiden in der Gruppe der psychischen Erkrankungen. Depressionen sind gekennzeichnet durch Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Interessenverlust. Bei schweren depressiven Episoden haben die jungen Patienten Schwierigkeiten, ihre alltäglichen Aktivitäten fortzusetzen. Sie ziehen sich stark zurück, schaffen es kaum noch, in die Schule zu gehen. Bei Angststörungen ist der natürliche Angstmechanismus des Menschen aus den Fugen geraten. Die Betroffenen zeigen Reaktionen, die der jeweiligen Situation nicht angemessen sind und losgelöst von einer realen äußeren Gefährdung ablaufen.
Unterschiede zwischen Stadt und Land
In Sachsen leben 53 Prozent der DAK-versicherten Kinder in städtischen Gemeinden. Die Studie zeigt, dass Stadtkinder im Alter zwischen 15 und 17 Jahren häufiger eine diagnostizierte Depression haben, als Gleichaltrige vom Land (plus 67 Prozent). Vor allem leichte sowie schwere Episoden werden für sie öfter festgestellt. „Die Gründe für die beobachteten Zusammenhänge können an den unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Lebensbedingungen liegen. Für Stadtkinder existiert aber auch ein dichteres Angebotsnetz an niedergelassenen Fachärzten. Sie bekommen leichter Hilfe und damit auch eine passende Diagnose mit der richtigen Behandlung“, erklärt Christine Enenkel.
Chronische Krankheiten steigern Risiko für Depressionen
Der Report zeigt erstmals auf Basis von Abrechnungsdaten, wie stark bestimmte Faktoren die Entwicklung eines Seelenleidens beeinflussen. So tragen Kinder mit einer chronischen körperlichen Erkrankung insbesondere im Jugendalter ein bis zu 4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. Dann belastet es, wenn nicht so unbekümmert leben kann wie körperlich gesunde Gleichaltrige. Das familiäre Umfeld kann für die Entwicklung eines Seelenleidens ebenfalls ein Faktor sein: Kinder psychisch kranker Eltern sind deutlich gefährdeter (3-fach), selbst eine depressive Störung zu entwickeln. „Erkrankungen der Eltern können für Kinder und Jugendliche eine große seelische Belastung sein“, erklärt Prof. Veit Roessner, Ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Uniklinikums Carl Gustav Carus Dresden. „Daher sind gerade für diese Betroffenen geeignete Präventionsangebote wichtig.“
Depressive Jugendliche häufig mehrmals im Krankenhaus
„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir für Sachsen auch belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten“, erklärt Julian Witte von der Universität Bielefeld als Studienautor. 15 Prozent der depressiven Schulkinder in Sachsen bekommen ein Antidepressivum. Der Anteil der Betroffenen mit Rezept liegt damit leicht unter dem Bundesdurchschnitt.
Beim Anteil der Jungen und Mädchen mit einer Klinikeinweisung liegt Sachsen etwa im Bundesdurchschnitt (minus 1 Prozent): Knapp jedes zehnte sächsische Schulkind mit einer diagnostizierten Depression wurde 2017 stationär behandelt. „Durch einen Krankenhausaufenthalt kommen die betroffenen Kinder für durchschnittlich 59 Tage aus ihrem Schul- und Familienalltag raus. Deshalb müssen wir sie insbesondere nach der Krankenhausentlassung noch besser unterstützen“, betont Christine Enenkel.
DAK-Gesundheit entwickelt neue Angebote
Die DAK-Gesundheit in Sachsen startet das neue integrierte Versorgungsangebot „veo“, damit Betroffene nach einer Krankenhausentlassung besser aufgefangen werden. „veo“ ermöglicht depressiven Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren für drei Jahre eine vernetzte ambulante Nachsorge und Versorgung. Das Programm hilft Kinder- und Jugendtherapeuten, Kinder- und Jugendpsychiatern sowie Haus- und Fachärzten dabei, die die ambulante Nachsorge zu optimieren. Weitere wichtige altersgruppenspezifische Beteiligte wie Beratungsstellen, Schulpsychologen und Jugendämter werden ebenfalls eingebunden. Das Ziel ist eine bessere Vernetzung und damit eine schnelle und unproblematische Hilfe für die betroffenen Kinder – ohne lange Wartezeiten und komplizierte Terminabsprachen.
Der aktuelle Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit für Sachsen untersucht umfassend die Behandlungsdaten der Jahre 2016 und 2017 von 20.624 minderjährigen Versicherten der DAK-Gesundheit im Freistaat. Die Analysen sind am renommierten Lehrstuhl für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ der Universität Bielefeld gelaufen.
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