Direkt zum Inhalt

Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen in Niedersachsen bleiben auf hohem Niveau

Hannover, 5. Februar 2024. Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen stabilisieren sich trotz Rückgängen auf einem hohen Niveau. Nach Anstiegen seit der Corona-Pandemie gab es 2022 im Vergleich zu 2021 bei jugendlichen Mädchen Rückgänge in den ambulanten und stationären Behandlungszahlen. Trotzdem ist die Inanspruchnahme immer noch höher als vor der Corona-Pandemie. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse des niedersächsischen Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit. Die Daten zeigen, dass weiterhin jugendliche Mädchen am stärksten von Depressionen, Angststörungen und Essstörungen betroffen sind.  Vor dem Hintergrund der Ergebnisse geben Experten keine Entwarnung. DAK-Landeschef Vennekold fordert mehr Präventionsinitiativen zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Für die aktuelle DAK-Sonderanalyse im Rahmen des niedersächsischen Kinder- und Jugendreports untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 74.500 Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit in Niedersachsen versichert sind. Analysiert wurden anonymisierte Versichertendaten aus den Jahren 2017 bis 2022. Es ist die erste umfassende Analyse von ambulanten und stationären Behandlungen für das Jahr 2022. 

„Die aktuellen Ergebnisse sind besorgniserregend. Leichte Rückgänge bedeuten nicht, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist. Im Gegenteil: Das Leiden vieler Kinder und Jugendlicher verfestigt sich“, sagt Dirk Vennekold, DAK-Landeschef in Niedersachsen.  „Wir dürfen an der psychischen Gesundheit unserer Kinder nicht sparen. Wir müssen aktiver werden. Wir brauchen mehr Präventionsinitiativen in Schulen, Vereinen und der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die ‚Mental Health Coaches‘ müssen weiterentwickelt und flächendeckend in Niedersachsen zum Einsatz kommen. Denn es geht um die Zukunft unserer Kinder.“ 

Stabilisierung der Behandlungszahlen auf hohem Niveau
Die DAK-Auswertung zeigt, dass die Behandlungszahlen bei psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen 2022 in Niedersachsen bei jugendlichen Mädchen im Vergleich zu 2021 insgesamt rückläufig sind. So erhielten 2022 14 Prozent weniger jugendliche Mädchen eine Neu-Diagnose in diesem Bereich als 2021. Die Behandlungszahlen von gleichaltrigen Jungen blieben mit einem Plus von einem Prozent nahezu konstant. Mit Blick auf die Situation vor der Corona-Pandemie lagen die Behandlungszahlen 2022 weiterhin auf einem hohen Niveau – insbesondere bei jugendlichen Mädchen. Hier gab es im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ein Plus von zehn Prozent. Auch bei jugendlichen Jungen steht ein Zuwachs von drei Prozent. Insgesamt wurde 2022 bei rund 11.300 jugendlichen Mädchen aus Niedersachsen eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung neu diagnostiziert.

„Die aktuellen Daten geben weiterhin Anlass zu Sorge“, sagt Prof. Dr. med. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. „Wir sehen eine Stabilisierung der Neuerkrankungsraten bei psychischen Erkrankungen auf einem hohen Niveau. Von einer Normalisierung der Lage kann keine Rede sein. Es gibt keine Entwarnung. Auch wenn die Zahlen rückläufig sind: Wir befinden uns immer noch in einer Mental-Health-Pandemie. Und jugendliche Mädchen tragen die sichtbar größte Last.“

Jugendliche Mädchen leiden besonders
Die aktuelle Analyse des Kinder- und Jugendreport für Niedersachsen belegt, dass vor allem jugendliche Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren mit Depressionen, Ängsten und Essstörungen in ärztlicher Behandlung sind. Zwar sank die Neuerkrankungsrate bei Depressionen 2022 um 17 Prozent im Vergleich zu 2021. Doch im Vergleich mit 2019, dem letzten Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie, steht ein Plus von 20 Prozent. Bei Ängsten und Essstörungen sind die Trends in Niedersachsen noch ausgeprägter. Im Vergleich zu 2021 erkrankten rund acht Prozent weniger jugendliche Mädchen 2022 neu an Angststörungen – im Vergleich zu 2019 waren es aber 48 Prozent mehr. Bei Essstörungen gingen 2022 die Neuerkrankungen im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent zurück. Mit Blick auf 2019 stiegen die Zahlen aber um 79 Prozent an. 

Die DAK-Analyse zeigt zudem, dass auch Schulkinder in Niedersachsen vermehrt unter psychischen Erkrankungen leiden. So stiegen die Neuerkrankungsraten von Mädchen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit deutlich an. Bei Ängsten nahmen sie um 25 Prozent, bei Essstörungen um 27 Prozent und bei Depressionen sogar um 60 Prozent zu. 

„Die Ergebnisse sind sehr beunruhigend“, so Dr. Thomas Fischbach, ehemaliger Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. (BVKJ). „Dass die Neuerkrankungsraten leicht sinken, ist kein Grund für eine Entwarnung, da die Prävalenzen gegenüber 2019 immer noch sehr hoch sind. Insbesondere die zunehmende Komorbidität bei Depressionen und Angststörungen sowie der signifikante Trend zur Chronifizierung sorgen mich, denn dies lässt die Hoffnung schwinden, dass die Probleme zumindest in absehbarer Zeit von selbst wieder verschwinden werden. Die Politik sollte sich diese Erkenntnisse für die Zukunft zu Herzen nehmen, damit im Falle eines ähnlichen Geschehens nicht erneut die gleichen Fehler begangen werden. Großen Handlungsbedarf sehe ich bei Hilfsangeboten für psychisch kranke Jugendliche – damit meine ich nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch beispielsweise pädagogische Maßnahmen.“

Jungen seltener in Behandlung als Mädchen
Die niedersächsische DAK-Analyse verdeutlicht, dass Jungen im Jugendalter seltener aufgrund von psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstörungen behandelt werden als Mädchen. So erhielten 2022 drei Prozent mehr 15- bis 17-jährige Jungen eine Neudiagnose in diesem Bereich als im Vor-Pandemie-Jahr 2019. Bei jugendlichen Mädchen in Niedersachsen steht hingegen insgesamt ein Plus von zehn Prozent.  

„Während Jungen bei psychischen Belastungssituationen eher externalisierend reagieren, das heißt Sozialverhaltensstörungen wie Aggressivität, Impulsivität und oppositionelles Verhalten zeigen, neigen Mädchen eher zu internalisierenden Störungen wie Rückzug, Angst bis hin zu depressiven Verstimmungen und Essstörungen“, so Fischbach. „Externalisierende Störungen werden oft nicht als psychische Störungen gewertet, sondern als Sozialverhaltensstörungen. Sie sind somit wahrscheinlich unterdiagnostiziert.“

„Zudem besteht die Sorge, dass Jungen eventuell bei psychischen Belastungen mehr auf substanzgebundene und nicht-substanzgebundene Suchtmittel, wie Gaming, zurückgreifen. Das gilt es weiter zu beobachten“, sagt Correll.

Die DAK-Gesundheit ist mit 5,5 Millionen Versicherten die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands und engagiert sich besonders für Kinder- und Jugendgesundheit. Insgesamt sind bei der Krankenkasse in Niedersachsen rund 530.000 Menschen versichert.
 

Texte zum Download

Bild herunterladen (Copyright: DAK-Gesundheit / Gettyimages_Dmitriy Bilous)

Ihr Kontakt

Ann-Kathrin Wucherpfennig

Pressesprecherin Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

Ellernstr. 40
30175 Hannover

Updated on:
Telefonkontakt
040 2364855 9411

Oder per E-Mail an presse@dak.de