DAK-Pflegereport: Baby-Boomer-Effekte verschärfen die Personalnot in Brandenburg deutlich
Potsdam, 15. Juli 2024. Das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation verschärft die Situation der beruflichen Pflege in Brandenburg. Neben erheblichen Finanzierungslücken in der Pflegeversicherung bedroht die steigende Personalnot zunehmend die Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Das sind Ergebnisse des aktuellen Pflegereports der DAK-Gesundheit für Brandenburg. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Thomas Klie vom Institut AGP Sozialforschung haben die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf das Pflegesystem untersucht. Demnach wird die ohnehin dünne Arbeitsmarktreserve von rund 710 Fachkräften (2,1 Prozent) in 2025 auf lediglich 64 Fachkräfte (0,2 Prozent) landesweit im Jahr 2030 abschmelzen. Folge: Ab 2026 nähert sich Brandenburg einem Kipppunkt an, an dem der Pflegenachwuchs die altersbedingten Berufsaustritte der Baby-Boomer nicht mehr auffangen kann. Laut DAK-Landespflegereport müssen in den nächsten zehn Jahren in Brandenburg 22,6 Prozent vom Pflegepersonal ersetzt werden, das sind 0,7 Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt.
„Wir stehen in Brandenburg vor einem Kipppunkt: Die soziale Pflegeversicherung droht in wenigen Jahren ihre Funktionsfähigkeit zu verlieren“, sagt DAK-Landeschefin Anke Grubitz zu den Reportergebnissen. „Wir brauchen eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung mit Strahlkraft in die Länder, um die Pflege mit neuen Versorgungskonzepten zukunftsfähig zu machen.“ Steigende Kosten, immer mehr Pflegebedürftige und beständig abnehmende Personalressourcen strapazierten das System. Verschärft wird die Personalproblematik durch Effekte der Baby-Boomer-Generation: Mit den nahenden Renteneintritten werde die Zahl der Pflege-Fachkräfte signifikant sinken.
Arbeitsmarktreserve schmilzt auf 0,2 Prozent
Laut DAK-Landespflegereport schmilzt in Brandenburg die Arbeitsmarktreserve in der beruflichen Pflege bis 2030 auf 0,2 Prozent ab. Für 2025 liegt die Prognose bei 256 Renteneintritten, denen 968 Berufseinsteiger gegenüberstehen – das entspricht einer Arbeitsmarktreserve von 2,1 Prozent. Diese bereits äußerst dünne Personaldecke verkleinert sich 2027 auf 0,9 Prozent: Statt einer Reserve von 712 Pflegekräften stehen dann rechnerisch lediglich 290 Arbeitskräfte zur Verfügung. 2030 geht die Reserve noch einmal massiv auf 64 Kräfte zurück, was 0,2 Prozent entspricht. „Wir haben trotz guter Ausbildungszahlen keinen Puffer gegen die berufsdemografischen Dynamiken in der Pflege“, sagt Pflegeexperte und Studienleiter Prof. Thomas Klie. „Ein Ausbau der Personalkapazitäten in der Pflege wird demografiebedingt nicht gelingen. Mithilfe von Wiedereinsteigerprogrammen, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien lassen sie sich bestenfalls stabil halten.“
22,6 Prozent der Pflegekräfte müssen ersetzt werden
2023 gab es mehr als 31.800 professionell Pflegende in Brandenburg. Rund 7.200 von ihnen erreichen in den nächsten zehn Jahren das Renteneintrittsalter, das sind 22,6 Prozent. Dieser Ersatzbedarf beschreibt dabei ausschließlich, wie groß die Lücke netto ist. Der tatsächliche Bedarf dürfte vor dem Hintergrund einer kontinuierlich wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein. „Wir schätzen, dass in den nächsten 25 Jahren rund 2,3 Millionen Menschen mehr als heute auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein werden“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Thomas Klie.
Kipppunkte drohen in Brandenburg ab 2030
Gleichzeitig spitzt sich in Brandenburg das Missverhältnis von Pflegekräften, die altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden, und nachrückenden Pflegeschulabsolventinnen und -absolventen in den nächsten Jahren zu. Bereits Anfang der 2030er Jahre droht in Brandenburg der Kipppunkt, an denen mehr Pflegende in den Ruhestand gehen als Nachwuchskräfte in den Beruf einsteigen. In einigen Bundesländern wird dies Berechnungen des Forschungsinstituts AGP Sozialforschung zufolge bereits in 2029 der Fall sein. Prof. Dr. Thomas Klie: „Aufgrund des sehr lokal geprägten Arbeitsmarktes variieren die Kipppunkte stark auf der Landkreis- und städtischen Ebene innerhalb der Bundesländer.“ Selbst in Bundesländern, die rechnerisch weiterhin über eine Reserve verfügen, sei der Arbeitsmarkt praktisch leergefegt.
Starke gesundheitliche Belastungen
Hinzu kommt eine überdurchschnittlich große gesundheitliche Belastung des Pflegepersonals. Vor allem Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychische Belastungen waren im Jahre 2022 in Brandenburg ursächlich für durchschnittlich 59 Fehltage von Beschäftigten in der Altenpflege. Zum Vergleich: In anderen Branchen waren es im 41 Fehltage. Auch 2023 hatte die Berufsgruppe, zu der die Altenpflege gehört, mit 7,4 Prozent den höchsten Krankenstand in Brandenburg. Das bedeutet, dass jeden Tag 74 Mitarbeitende von 1.000 krankgeschrieben waren (Landesschnitt: 6,5 Prozent). „Die Personalsituation in der Pflege ist alarmierend und wird durch die Renteneintritte der Baby-Boomer vor weitere große Herausforderungen gestellt. Die Zahl der Fachkräfte sinkt rapide und hat schon jetzt regionale Engpässe zur Folge. Mittelfristig wird dieser Mangel so gravierend, dass unser Pflegesystem an seine Belastungsgrenze kommt“, sagt Anke Grubitz, Landeschefin der DAK-Gesundheit in Brandenburg.
Pflegefinanzierung ebenfalls vor dem Kipppunkt
Steigende Kosten belasten das Pflegesystem zusätzlich: Bereits für das vierte Quartal 2024 zeichnen sich laut Berechnungen im DAK-Pflegereport deutliche Finanzierungslücken ab, die voraussichtlich Beitragssatzerhöhungen noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr erforderlich machen. Damit einher geht auch die Frage der finanziellen Absicherung der Menschen. Laut einer repräsentativen Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach im Rahmen des DAK-Pflegereports gaben 48 Prozent der Befragten in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern an sich Sorgen, im Fall der Pflegebedürftigkeit ausreichend finanziell abgesichert zu sein. Lediglich 35 Prozent machen sich keine Sorgen. „Die Sorgen der Menschen in Brandenburg müssen wir ernst nehmen“, sagt Grubitz. „Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im vergangenen Jahr abgegebene Versprechen einer zumindest kurzfristigen Stabilisierung der Pflegefinanzen bis zum Ende der laufenden Wahlperiode ist wohl nicht mehr zu halten.“ Sie fordert ein Konzept, das den wachsenden Finanzbedarf aufgrund steigender Kosten in der pflegerischen Versorgung langfristig absichert. Dies sei essenziell, um das Pflegesystem zukunftsfähig zu machen.
Grubitz: „Verstätigung des ´Paktes für Pflege´ wichtig“
DAK-Landeschefin Grubitz begrüßt den „Pakt für Pflege“ des Landes Brandenburg, pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen vor Ort zu unterstützen, Beratungsstrukturen auszubauen und die Fachkräftesicherung in der Pflege zu fördern. „Mit dem Pakt für Pflege konnten zahlreiche wichtige regionale Angebote und Strukturen aufgebaut und vernetzt werden. Es sind wertvolle Unterstützungsangebote für Zupflegende und Pflegende entstanden. Wichtig ist, dass es zu einer Verstätigung und Fortführung des Paktes für Pflege in der neuen Legislaturperiode kommt.
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