Bayern: Jedes vierte Schulkind hat psychische Probleme
München, 26. November 2019. Ein Viertel aller Schulkinder in Bayern zeigt psychische Auffälligkeiten. Zwei Prozent aller Jungen und Mädchen zwischen zehn und 17 Jahren leiden an einer diagnostizierten Depression, 2,5 Prozent unter einer Angststörung. Das zeigt der aktuelle Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit „Ängste und Depressionen bei Schulkindern“. Hochgerechnet sind insgesamt etwa 33.300 Schulkinder in Bayern betroffen, Mädchen fast doppelt so häufig wie Jungen. Für die Versorgung depressiver Schulkinder gibt die DAK-Gesundheit in Bayern im Jahr pro Kopf durchschnittlich 2.580 Euro mehr aus als für seelisch gesunde Gleichaltrige.
Im Auftrag der DAK-Gesundheit hat die Universität Bielefeld die Gesundheits- und Versorgungssituation von Jungen und Mädchen in Bayern umfassend untersucht. Die repräsentative Studie mit Abrechnungsdaten aus 2016 und 2017 nimmt insbesondere die seelische Gesundheit von Jungen und Mädchen in den Fokus. „Wir wollen das Tabu brechen, das psychische Erkrankungen noch immer umgibt“, sagt Sophie Schwab, Leiterin der DAK-Landesvertretung in Bayern. „Die betroffenen Kinder leiden oft für sich im Stillen, bevor sie sich jemandem anvertrauen und eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen aufmerksamer werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein – und nachhaltig helfen.“
Ängste und Depressionen treten auch parallel auf
23 Prozent aller Jungen und Mädchen in Bayern sind von einer psychischen Erkrankung oder Verhaltensstörung betroffen. Vor allem jüngere Schulkinder fallen am häufigsten durch Entwicklungsstörungen auf, zu denen Sprach- und Sprechstörungen gehören. Auch Verhaltensstörungen, wie etwa ADHS sind verbreitet. Seltener, aber von hoher Relevanz für die Versorgung, sind affektive Störungen, zu denen auch die Depressionen gehören. Zwei Prozent aller DAK-versicherten Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 17 Jahren sind so stark betroffen, dass sie einen Arzt aufsuchen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Depressionshäufigkeit 2017 in Bayern um sechs Prozent gestiegen. Mädchen leiden deutlich häufiger als Jungen. Mit einer diagnostizierten Angststörung kämpfen 2,5 Prozent aller Schulkinder. Hochgerechnet auf alle Kinder und Jugendlichen in Bayern entspricht dies etwa 33.300 mit Angststörungen oder Depressionen. Diese Störungsbilder treten auch parallel auf: Jeder sechste Junge in Bayern mit einer diagnostizierten Depression hat parallel auch eine Angststörung. Bei den Mädchen ist es fast jedes vierte.
Depressionen und Angststörungen zählen nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den schwerwiegendsten Leiden in der Gruppe der psychischen Erkrankungen. Depressionen sind gekennzeichnet durch Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Interessenverlust. Bei schweren depressiven Episoden haben die jungen Patienten Schwierigkeiten, ihre alltäglichen Aktivitäten fortzusetzen. Sie ziehen sich stark zurück, schaffen es kaum noch, in die Schule zu gehen. Bei Angststörungen ist der natürliche Angstmechanismus des Menschen aus den Fugen geraten. Die Betroffenen zeigen Reaktionen, die der jeweiligen Situation nicht angemessen sind und losgelöst von einer realen äußeren Gefährdung ablaufen.
Unterschiede zwischen Stadt und Land
In Bayern lebt ein Drittel der DAK-versicherten Kinder in städtischen Gemeinden. Die Studie zeigt, dass Stadtkinder eher Diagnosen für eine psychische Erkrankung bekommen als Gleichaltrige vom Land (plus zehn Prozent). Stadtkinder haben im Alter zwischen 15 und 17 Jahren häufiger Depressionen (plus 18 Prozent). Vor allem leichte sowie schwere Episoden werden für sie öfter festgestellt. „Die Gründe für die beobachteten Zusammenhänge können an den unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Lebensbedingungen liegen. Für Stadtkinder existiert aber auch ein dichteres Angebotsnetz an niedergelassenen Fachärzten. Sie bekommen leichter Hilfe und damit auch eine passende Diagnose“, erklärt Sophie Schwab.
Chronische Krankheiten steigern Risiko für Depressionen
Der Report zeigt erstmals auf Basis von Abrechnungsdaten, wie stark bestimmte Faktoren die Entwicklung eines Seelenleidens beeinflussen. So tragen Kinder mit einer chronischen körperlichen Erkrankung insbesondere im Jugendalter ein bis zu 4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. „Wir sehen nicht selten, dass junge Patienten mit einem Typ-1-Diabetes oder einer schweren Rheumaerkrankung auch psychische Probleme entwickeln,“ berichtet Dr. Adelina Mannhart, stellvertretende Ärztliche Direktorin und leitende Oberärztin aus ihrer Erfahrung am kbo-Heckscher-Klinikum in München. „In der Pubertät ist ihre Situation besonders wackelig.“ Dann belastet es, wenn man vernünftig sein muss und nicht so unbekümmert leben kann, wie körperlich gesunde Gleichaltrige. Das familiäre Umfeld kann für die Entwicklung eines Seelenleidens ebenfalls ein Faktor sein: Kinder psychisch kranker Eltern sind deutlich gefährdeter (3-fach), selbst eine depressive Störung zu entwickeln. „Erkrankungen der Eltern können für Kinder und Jugendliche eine große seelische Belastung sein“, so Mannhart.
Depressive Jugendliche häufig mehrmals im Krankenhaus
„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir für Bayern auch belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten“, erklärt Julian Witte von der Universität Bielefeld als Studienautor. Depressive Schulkinder in Bayern bekommen häufiger Arzneimittel und eine Krankenhauseinweisung. Jedes dritte Mädchen und etwa jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahren nimmt ein Antidepressivum ein. Der Anteil der Betroffenen mit Rezept liegt damit 48 Prozent über dem DAK-weiten Bundesdurchschnitt.
Höher als im Bundesdurchschnitt ist in Bayern auch der Anteil der Jungen und Mädchen mit einer Klinikeinweisung (plus 26 Prozent): Jedes zehnte bayerische Schulkind mit einer diagnostizierten Depression wurde 2017 stationär behandelt, durchschnittlich für 40 Tage. Nach der Entlassung fehlt oft eine passende ambulante Nachsorge. In der Folge ist mehr als jedes vierte dieser bayerischen Kinder zwischen zehn und 17 Jahren innerhalb von zwei Jahren mehrfach stationär in Behandlung. „Wir haben offenkundige Versorgungslücken nach der Krankenhausentlassung, die wir dringend schließen müssen“, betont Sophie Schwab. „Eine Rehospitalisierungsquote von 29 Prozent ist alarmierend!“
DAK-Gesundheit entwickelt neue Angebote
Die DAK-Gesundheit in Bayern startet das neue integrierte Versorgungsangebot „veo“, damit Betroffene nach einer Krankenhausentlassung besser aufgefangen werden. „veo“ ermöglicht depressiven Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren für drei Jahre eine vernetzte ambulante Nachsorge und Versorgung. Das Programm „veo“ ist einzigartig. Es hilft Kinder- und Jugendtherapeuten, Psychiatern sowie Haus- und Fachärzten dabei, die die ambulante Nachsorge zu optimieren. Weitere wichtige altersgruppenspezifische Beteiligte wie Beratungsstellen, Schulpsychologen und Jugendämter werden ebenfalls eingebunden. Das Ziel ist eine bessere Vernetzung und damit eine schnelle und unproblematische Hilfe für die betroffenen Kinder – ohne lange Wartezeiten und komplizierte Terminabsprachen.
Der aktuelle Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit für Bayern untersucht umfassend die Behandlungsdaten der Jahre 2016 und 2017 von fast 107.000 minderjährigen Versicherten der DAK-Gesundheit in Bayern. Die Analysen sind am renommierten Lehrstuhl für „Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement“ der Universität Bielefeld gelaufen.
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