Innovationsfondsprojekt ReKo „Regionale Pflegekompetenzzentren“
Hintergrund und Projektziele
Die gesetzlichen Krankenkassen sind mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz aus dem Jahr 2015 aufgefordert, die Weiterentwicklung und Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland kontinuierlich und systematisch voranzutreiben. Im Zuge dessen wurde der Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss eingerichtet, der Schwerpunkte und Kriterien zur Vergabe der Fördermittel festlegt und Projektergebnisse zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems nutzt. Ein Förderschwerpunkt liegt auf der Entwicklung und Erprobung von ›Neuen Versorgungsformen‹, die innovativen Ansätze der innersektoralen Schnittstellenoptimierung sowie der sektorenübergreifenden Prozess- und Strukturentwicklung vorantreiben sollen.
Auf Basis konzeptioneller Vorarbeiten der Professoren T. Klie und M. Monzer wurde im Jahr 2018 in Federführung der DAK-Gesundheit ein Antrag auf Förderung des Projektvorhabens „Regionales Pflegekompetenzzentrum – Innovationsstrategie für die Langzeitversorgung vor Ort“ (ReKo) eingereicht, durch den G-BA-Innovationsausschuss geprüft und genehmigt. Das Projekt ReKo zielte darauf ab, regionale und lokale Netzwerke im ländlichen Raum zur Unterstützung von Beratung, Versorgung und Pflege aufzubauen und zu etablieren, um Menschen mit Pflegerisiko oder manifestem Pflegebedarf sowie (pflegende) An- und Zugehörige zu entlasten, bei zunehmenden gesundheitlichen und/oder pflegerischen Beeinträchtigungen einen möglichst langen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen und über Erfahrungen aus der Versorgungspraxis systematische Impulse für eine regionale Pflegeinfrastrukturentwicklung abzuleiten.
Als Pilotmodell entstand in den niedersächsischen Landkreisen Grafschaft Bentheim und Emsland die erste pflegebezogene Case Management-Organisation in Deutschland. Das Konsortium bestand aus der DAK-Gesundheit (Konsortialführung), der Gesundheitsregion EUREGIO e.V. (verantwortlich für die Case Management-Organisation) und der Universität Osnabrück (verantwortlich für die Evaluation). Zur Umsetzung eines digitalen Ökosystems sowie zum sachgerechten Umgang mit personenbezogenen und sensiblen Daten wurden ein IT-Anbieter und eine Datentreuhandstelle per Unterauftrag eingebunden. Der Innovationsfonds förderte das Projekt mit rund 10,7 Mio. Euro über die Laufzeit vom 1.10.2019 bis zum 31.03.2024.
Insgesamt konnten 1.723 Probanden und Probandinnen in die ReKo-Evaluationen einbezogen werden: In der ReKo-Interventionsregion 921 Personen, in der ReKo-Kontrollregion 802 Personen. Nähere Erläuterungen folgen unter Methodik und Datengrundlage.
Zur Evaluation der ReKo-Interventionen wurde ein integrativer Ansatz zum Methodenmix verwendet, der eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden, objektiven und partizipativen Verfahren sowie Selbst- und Fremdbewertungen umfasst und formative und summative Datenauswertungen ermöglicht. Die ReKo-Effektmessungen erfolgten in einem quasi-experimentellen Design (Zwei-Gruppen-Prä-Post-Design), um die Wirkungen der ReKo-Interventionen summativ zu untersuchen. Dazu wurde eine Interventionsgruppe (IG) in den Reko-Modellregionen und eine Kontrollgruppe (KG) in acht vergleichbaren ländlichen Regionen in Niedersachsen rekrutiert.
Zentrale Befunde der ReKo-Evaluationen
- ReKo verbessert Versorgungssicherheit und -qualität
- ReKo verbessert den Zugang zum Versorgungssystem
- ReKo verbessert die Inanspruchnahme von Leistungen zum Verbleib in der Häuslichkeit
- Veränderung der Pflegebedürftigkeit und Institutionalisierungsrisiko
- Vernetzung und Unterstützung durch das digitale ReKo-Ökosystem
- ReKo verbessert regionale Entwicklung als ›Lernendes System‹
- Kosten und Nutzen der ReKo-Case Management-Intervention
1. ReKo verbessert Versorgungssicherheit und -qualität
- Das ReKo-Case Management (CM) führt zu einer Verbesserung der subjektiv erlebten Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität bei Menschen mit (angehender) Pflegebedürftigkeit und bei pflegenden An- und Zugehörigen. Zentrale Erfolgsfaktoren sind: ›Soziale Unterstützung‹, ›Kontinuierliche Begleitung‹, ›Unterstützung bei administrativen Aufgaben‹ und ›Koordination der Sorgenetzwerke‹.
- Die subjektiv erlebte Zufriedenheit mit der Versorgungssituation wurde durch die ReKo-Interventionen aus Sicht aller befragten Zielgruppen (Menschen mit Pflegerisiko, pflegebedürftige Menschen, An- und Zugehörige, professionelle Dienstleistende im Gesundheits- und Pflegewesen, kommunale Akteure, Vertretungen von Kranken- und Pflegekassen) deutlich verbessert.
- Die Sorgenetzwerke von pflegebedürftigen Menschen und von Menschen mit Pflegerisiko wurden deutlich stabilisiert. Die Anzahl der durchschnittlich beteiligten Personen eines Sorgenetzwerkes wurde signifikant erhöht.
- Die Lebensqualität von Menschen mit angehendem Pflegebedarf und anerkannter Pflegebedürftigkeit sowie von pflegenden An- und Zugehörigen wurde in Bezug auf die psychische Gesundheit und die Zufriedenheit mit der Gesundheit signifikant verbessert.
- Pflegende An- und Zughörige erleben eine deutliche Entlastung in sozialen, psychischen, physischen und finanziellen Lebensbereichen u. a. durch administrative und soziale Unterstützung der ReKo-Case Manager und Managerinnen.
- Das Regelsystem im Gesundheits- und Pflegewesen wird aus Perspektive der professionellen Akteursgruppen durch die ReKo-Interventionen deutlich entlastet und erfährt eine Qualitätsverbesserung bei der Bearbeitung und Begleitung von komplexen Fällen.
- Die dezentrale Verortung von ReKo-CM in Einrichtungen der Regelversorgung (z. B. Pflegestützpunkten, Familienservicebüros, Krankenhaussozialdiensten) sowie eine digitale Unterstützung und Vernetzung mit dem Versorgungssystem verbessert aus Sicht der Leistungsanbieter und -anbieterinnen im Gesundheits- und Pflegesystem den systematischen und sektorenübergreifenden Informationsfluss.
2. ReKo verbessert den Zugang zum Versorgungssystem
- Die ReKo-Interventionen eröffnen einen bedarfsgerechten Zugang zum Versorgungssystem und reduzieren damit Unter- und/oder Fehlversorgungen, die mittel- bis langfristig hohe Folgekosten für das Gesundheits- und Pflegesystem nach sich ziehen. Der ReKo-Ansatz geht in der Regel kurzfristig mit erhöhten Kosten für das Sozialsystem einher, stellt aber als präventive Maßnahme mittel- bis langfristige Einsparungen in Aussicht.
- Die ReKo-Evaluationen weisen nach, dass das ReKo-Case Management den Zugang zu den Versorgungssystemen für Menschen mit Pflegerisiko oder Pflegebedarf verbessert. Dieser Effekt kann sowohl in Bezug auf SGB XI als auch hinsichtlich SGB V-Leistungen über statistische Analysen ausgewiesen werden.
- Über die ReKo-Interventionen wurde der Anteil an Menschen, die objektiv komplexe Problemlagen aufweisen (RAI-HC-Assessment), jedoch keinen SGB XI-Pflegegrad aufweisen (immerhin 30% der komplexen ReKo-Einzelfälle), um 19 Prozentpunkte gesenkt. Damit erhalten diese Menschen nun kontinuierliche Unterstützungsleistungen und präventive Maßnahmen, die eine Verbesserung der Versorgungs- und Lebensqualität, einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit und letztlich auch Einsparungen im Sozialsystem möglich machen.
- In Bezug auf SGB XI-Leistungen stieg die Inanspruchnahme von ambulanten und teilstationären Leistungen durch das ReKo-Klientel deutlich, insbesondere bei Probanden und Probandinnen, bei denen eine Unterversorgung in Bezug auf die identifizierte Bedarfslage festgestellt werden konnte.
- Über die ReKo-Interventionen wurde die Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher SGB-V-Leistungen durch das ReKo-Klientel statistisch relevant verbessert. Damit wurde ein bedarfsgerechter Zugang zum ärztlichen Versorgungssystem für Klientinnen und Klienten sichergestellt, die bislang keinen angemessenen Zugang zum Leistungssystem gefunden haben.
- Die ReKo-Interventionen sorgen durch individuelle Beratungs-, Unterstützungs- und Koordinationsleistungen dafür, dass bedarfsgerechte Leistungsangebote durch die Klienten und Klientinnen in Anspruch genommen werden (können), um Unter- und Fehlversorgung zu vermeiden und entsprechende Folgekosten zu reduzieren.
3. ReKo verbessert die Inanspruchnahme von Leistungen zum Verbleib in der Häuslichkeit
- Die Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten zum verlängerten Verbleib in der eigenen Häuslichkeit wurde durch die ReKo-Interventionen signifikant erhöht. Dieser Effekt ist mit Blick auf SGB V- und SGB XI-Leistungen sichtbar (z. B. Häusliche Krankenpflege, Entlastungs- und Betreuungsangebote, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Wohnumfeldverbesserung u. a. m.).
4. Veränderung der Pflegebedürftigkeit und Institutionalisierungsrisiko
- Die ReKo-Interventionsgruppe ist zu Interventionsbeginn durch signifikant höhere objektive Pflege- und Unterstützungsbedarfe (gemäß Barthel-Index und RAI-HC) sowie durch ein signifikant höheres Institutionalisierungsrisiko (gemäß RAI-HC) im Vergleich zur Kontrollgruppe charakterisiert. Interventions- und Kontrollgruppe unterscheiden sich zu Interventionsbeginn jedoch nicht signifikant in Bezug auf den Pflegegrad. Zum Ende der Projektlaufzeit sind ReKo-Klientinnen und Klienten daher folgerichtig (bei sehr geringer Effektstärke) signifikant in höhere Pflegegrade eingruppiert als die Kontrollgruppe. Diese Entwicklung wird auf die Interventionen des ReKo-CM zurückgeführt, die durch Beratungs- und Koordinationsleistungen dafür gesorgt haben, dass ein bedarfsgerechter Zugang zum Versorgungssystem hergestellt wurde, der als pflegepräventive Maßnahme gelten kann.
- Die Eingruppierung in höhere Pflegegrade geht auf Seiten der ReKo-Klientinnen und Klienten mit einem (effektstark) signifikant verbesserten Gesundheitszustand der Probanden und Probandinnen einher (RAI HC-CHESS-Skala). Insbesondere für komplexe ReKo-Fälle lässt sich zeigen, dass die Gewährung eines Pflegegrades nach SGB XI mit einer signifikant messbaren Stabilisierung von Pflege- und Unterstützungsbedarfen (gemäß Barthel-Index und interRAI HC) einhergeht.
- Die benannten Befunde wirken sich messbar auf das Institutionalisierungsrisiko aus (operationalisiert über „Alarmzeichen“ des interRAI HC): Vor Beginn der ReKo-Interventionen weist die ReKo-Interventionsgruppe ein signifikant höheres Institutionalisierungsrisiko auf als die ReKo-Kontrollgruppe. Durch die ReKo-Interventionen konnte erreicht werden, dass das Institutionalisierungsrisiko bei den ReKo-Klientinnen und Klienten stagniert, während es in der Kontrollgruppe signifikant ansteigt.
5. Vernetzung und Unterstützung durch das digitale ReKo-Ökosystem
- Die ReKo-IT-Evaluationen zeigen, dass vielfältige kommunale sowie Landes- und Bundesinitiativen den Ausbau der Digitalisierung in der ländlichen ReKo-Modellregion (unabhängig von ReKo-Interventionen) u. a. zur Verbesserung der Vernetzung im Gesundheits- und Pflegesystem systematisch vorangetrieben haben. Im Ergebnis zeigen sich Verbesserungen im Bereich des Breitbandausbaus, der Netzabdeckung sowie der Integration und Akzeptanz der Telematikinfrastruktur.
- Über das ReKo-Projekt wurde ein Software-Angebot (Quovero) angepasst und erprobt. Über Quovero wurde eine Anbindung der ReKo-Case Management Organisationen an die Telematikinfrastruktur realisiert und regelhaft genutzt. Die Software Quovero unterstützt die Prozessgestaltung und -dokumentation des ReKo-Case Managements und der ReKo-Case Management-Organisation und stellt ein Patienten- und Patientinnenportal zur Vernetzung und Kommunikation zwischen Klienten und Klientinnen, An- und Zugehörigen sowie den Leistungserbringern und -erbringerinnen im Versorgungssystem (inklusive ReKo-CM) bereit.
- Die Quovero-Software wurde auf Seiten des Case Managements, so zeigen die Nutzungsstatistiken, regelmäßig für alle Phasen des CM-Zyklus genutzt.
- Professionelle Leistungsanbieter und -anbieterinnen im Regelsystem (Sozialdienste im Krankenhaus, Pflegestützpunkte, Pflegedienste, Hausärzte und Hausärztinnen) begrüßen eine systematische Vernetzung der Akteursgruppen im System und betonen Mehrwerte für die Versorgungsqualität und Prozessoptimierung. Diese Mehrwerte können demnach nur entfaltet werden, wenn digitale Doppelstrukturen vermieden und alle relevanten Akteursgruppen systematisch eingebunden werden.
- Technikbereitschaft (gemäß Kurzskala Technikbereitschaft) und das Vertrauen in Technik (Trust in Technology Construct) sind auf Seiten von Menschen mit Pflegerisiko, mit Pflegebedarf und pflegenden An- und Zugehörigen begrenzt und blieben über den Erprobungszeitraum des Patienten- und Patientinnenportals Quovero auf niedrigem Level stabil.
- Das digitale Patienten- und Patientinnenportal Quovero wurde durch die Klienten und Klientinnen Gruppen des ReKo-Angebotes insgesamt zurückhaltend genutzt, Chat-Kommunikationen mit dem begleitenden ReKo-CM erfuhren die häufigsten Aufrufe. Bedenken des ReKo-Klientel im Umgang mit dem digitalen Angebot beziehen sich insbesondere auf Aspekte von Datenschutz und Refinanzierung.
6. ReKo verbessert regionale Entwicklung als ›Lernendes System‹
- Ein systematisches, kontinuierliches regionales Datenmonitoring zur Unterstützung einer gezielten Pflegeinfrastrukturentwicklung ist derzeit kaum sichergestellt. Relevante regionale Steuerungsdaten liegen häufig verteilt vor (z. B. verschiedene Kommunalverwaltungen und/oder Landesbehörden) und sind oft nicht aktuell und/oder gar nicht verfügbar.
- Die Ergebnisse aus regionalen Infrastrukturanalysen (Community Health Assessment) zeigen, dass ein systematisch begründetes und digital gestütztes Case Management dazu geeignet ist, regionale Versorgungslücken und Strukturgrenzen zu identifizieren und für institutionelle (Mesoebene) und regionale (Makroebene) Entwicklungsplanungen auf der Basis objektiver Struktur- und Prozessdaten verfügbar zu machen. Eine ReKo-Case Management-Organisation kann damit relevante Planungsdaten für die regionale (Pflege)Strukturentwicklung bereitstellen.
- Eine ReKo-Case Management-Organisation trägt weiterhin nachweisbar zum Auf- und Ausbau von regionalen Netzwerken zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der regionalen Pflegeinfrastruktur bei und verbessert den sektorenübergreifenden Austausch zwischen den einschlägigen Institutionen und Akteursgruppen, ohne dabei Doppelstrukturen zu erzeugen.
- Ein Desiderat stellt die systematische Einbindung von haus- und fachärztlichen Vertretungen in entsprechende Netzwerke dar, die über die ReKo-Aktivitäten nicht ausreichend adressiert und motiviert werden konnten.
7. Kosten und Nutzen der ReKo-Case Management-Intervention
- Die skizzierten Effekte in Bezug auf die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen und die Entwicklung von Pflegegraden bei der Interventionsgruppe schlagen sich auf Kosten-Nutzen-Analysen des ReKo-CM nieder. Kostenseitig sind dazu Investitionskosten (Personal- und Sachkosten) zur Etablierung des pflegebezogenen ReKo-Case Managements sowie die Entwicklung von individuellen Gesundheitskosten auf Seiten der ReKo-Klienten und Klientinnen zu berücksichtigen.
- Die ReKo-Interventionen gehen mit einer Erhöhung der durchschnittlichen individuellen Gesundheitskosten (SGB V und SGB XI) einher (bemessen über GKV-Routinedaten), die insbesondere durch das verbesserte Inanspruchnahmeverhalten von sozialrechtlich legitimierten pflegerischen und medizinischen Leistungen begründet ist. Auf der Nutzenseite ist dies mit einem verminderten Institutionalisierungsrisiko, einer Stabilisierung von objektiven Unterstützungs- und Pflegebedarfen sowie einer deutlichen Verbesserung der subjektiv erlebten Versorgungs- und (gesundheitsbezogenen) Lebensqualität auf Seiten der Reko-Klientinnen und Klienten sowie der An- und Zugehörigen verbunden.
- Kosteneffektivitätsanalysen (ICER) verweisen darauf, dass Stabilisierungen im Bereich des Gesundheitszustandes (RAI-HC-CHESS-Skala) und der Bewältigung alltäglicher Aktivitäten (Barthel-Index) die kosteneffektivsten ReKo-Interventionen darstellen.
Auf ein Wort
Transferempfehlungen
Die ReKo-Interventionen wurde unter spezifischen Rahmenbedingungen eines Modellprojektes in zwei ländlich geprägten Landkreisen mit spezifischen strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen durchgeführt. Das ReKo-Konzept ist grundsätzlich auf weitere Landkreise auch unter ggf. anderen Rahmenbedingungen transferierbar und nachhaltig etablierbar. Die folgenden Aspekte stellen vor dem Hintergrund der ReKo-Modellprojekterfahrungen Gelingensbedingungen für einen erfolgreichen konzeptionellen Transfer von Case Management-Organisationen in weitere ländliche Regionen in Deutschland dar:
- Pflegebezogenes ReKo-Case Management ist auf der Mikroebene der CM-Versorgung zugehend ausgerichtet (Hausbesuche) und arbeitet möglichst niedrigschwellig. ReKo-Case Manager und Managerinnen sind in Beratung und Koordination der Fallarbeit primär den Belangen der Klienten und Klientinnen, ihrer fachlichen Expertise sowie den Interessen des Gemeinwohls im Sinne der Daseinsvorsorge verpflichtet und arbeiten in diesem Sinne unabhängig von vorrangig wirtschaftlichen oder trägerspezifischen Interessen. Die operative Arbeitsorganisation orientiert sich an den Phasen des CM-Prozesses (nach DGCC) und stellt damit die Klienten und Klientinnen mit ihren Bedarfen und Bedürfnissen, aber auch Ressourcen in den Mittelpunkt der Arbeit. ReKo-Case Manager und Managerinnen verfügen über eine qualifizierte Ausbildung und Berufserfahrung im Bereich der beruflichen Pflege und sichern darüber einen niedrigschwelligen Zugang zu pflegebezogenen Problemstellungen in den Lebenswelten der Klienten und Klientinnen und/oder ihrer pflegenden An- und Zugehörigen. Sie haben zudem eine DGCC-zertifizierte Case Manager und Managerinnen Weiterbildung absolviert, die sie in die Lage versetzt, Case- und Care Management an die jeweils (regionalen) Besonderheiten anzupassen und entlang der etablierten Vorgehensweise systematisch umzusetzen und zu dokumentieren.
- Eine ReKo-CM-Organisation (Mesoebene) ist primär den Belangen der Klienten und Klientinnen, der fachlichen CM-Expertise sowie den Interessen des Gemeinwohls im Sinne der Daseinsvorsorge verpflichtet und arbeiten in diesem Sinne unabhängig von vorrangig wirtschaftlichen oder trägerspezifischen Interessen. Die konkrete Organisationsform und Trägerschaft obliegt den jeweils spezifischen regionalen Bedingungen. Eine ReKo-CM-Organisation stellt eine geeignete IT-Infrastruktur bereit, die fallspezifische Vernetzungen und operative Arbeiten auf der Mikroebene des Case Managements unterstützt sowie intersektorale Kommunikationen und den Anschluss an die Telematikinfrastruktur ermöglicht. Eine ReKo-CM-Organisation sucht einen ausgewogenen Case Mix aus hochkomplexen und (noch) weniger komplexen Fällen zu bearbeiten, um ein Früherkennung von Problemlagen zu erreichen, Mitarbeitergesundheit durch wechselnde Anforderungen zu unterstützen und Lernprozesse aus komplexen Fällen abzuleiten. Eine ReKo-CM-Organisation betreibt ein systematisches, digital gestütztes Pflege- und Datenmonitoring, um eine systematische Fallarbeit zu gewährleisten, Qualitätsentwicklung zu ermöglichen und geeignetes Datenmaterial (z. B. zu Versorgungslücken) für regionale Entwicklungsprozesse zur Verfügung stellen zu können. Eine ReKo-CM-Organisation richtet CM-Koordinationsstellen ein, die regionale Vernetzungen z. B. zwischen Pflegediensten und -einrichtungen, Ärzte und Ärztinnen sowie Ärztevertretungen, kommunalen Verwaltungen etc. unterstützt und die regionale Pflegeinfrastrukturentwicklung im Sinne des Care Managements vorantreibt. Es empfiehlt sich eine dezentrale Verortung von Case Manager und Managerinnen an verschiedenen etablierten Standorten in den Landkreisen (z. B. Krankenhäuser, Pflegestützpunkte, Familienservicebüros etc.), um für Bürger und Bürgerinnen „kurze Wege“ und niedrigschwellige Zugänge zum CM-Angebot zu ermöglichen. Diese Vorgehensweise unterstützt auch die erforderliche interprofessionelle Zusammenarbeit im Rahmen einer CM-Organisation, die etwa pflegespezifische, sozialarbeiterische und verwaltungsspezifische Expertise umfassen sollte.
- In Bezug auf die Makroebene der Gesundheitsversorgung greift eine regionale ReKo-CM-Organisation aktuelle landes- und bundespolitische Entwicklungen zur konzeptionellen und organisationalen Weiterentwicklung auf. Dies adressiert insbesondere Entwicklungen, die nachhaltige Refinanzierungsmöglichkeiten der ReKo-CM-Organisation in Aussicht stellen, strukturelle Anbindungen ermöglichen (z. B. entlang neuer Möglichkeiten über das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, GVSG) oder neue Qualifikationswege für ein pflegebezogenes Case Management eröffnen (z. B. Community Heath Nursing, Advanced Practice Nurse). Im Mittelpunkt sollte dabei die Ermöglichung und Stärkung regionaler Foren stehen, die ein systematisches regionales Lernen ermöglichen und Durchlässigkeit in kommunale sowie bundes- und landespolitische Prozesse herstellen, um regionsspezifische progressive Pflegesystementwicklungen zu ermöglichen.
Weiterführung des Pilotprojektes
Das ReKo-Konzept und die genannten und beschriebenen Ergebnisse werden in weiten Teilen nach Abschluss des Modellprojektes (März 2024) durch die beiden Landkreise der ReKo-Modellregion aufgegriffen und in Eigenfinanzierung durch die Einrichtung von kommunal verankerten CM-Stellen fortgeführt. Im Wesentlichen übernehmen diese die CM-Strukturen und beschäftigen in einer Brückenfinanzierung für drei Jahre (Grafschaft Bentheim) bzw. zwei Jahre (Emsland) in der Summe 6,5 Stellen für die Case Management-Arbeit. In der Brückenphase werden beide Modell-Landkreise durch die Professoren Thomas Klie und Michael Monzer im Auftrag der DAK-Gesundheit beraten. In einer Workshopreihe sollen die Case Management-Strukturen aufrechtgehalten und auf Nachhaltigkeitsoptionen überprüft werden.
Auf ein Wort
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Methodik und Datengrundlage
Zur Evaluation der ReKo-Interventionen wurde ein integrativer Ansatz zum Methodenmix verwendet, der eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden, objektiven und partizipativen Verfahren sowie Selbst- und Fremdbewertungen umfasst und formative und summative Datenauswertungen ermöglicht. Die ReKo-Effektmessungen erfolgten in einem quasi-experimentellen Design (Zwei-Gruppen-Prä-Post-Design), um die Wirkungen der ReKo-Interventionen summativ zu untersuchen. Dazu wurde eine Interventionsgruppe (IG) in den Reko-Modellregionen und eine Kontrollgruppe (KG) in acht vergleichbaren ländlichen Regionen in Niedersachsen rekrutiert.
Zur Bearbeitung der Evaluationsfragestellungen wurden einzelfallbezogen Datenerhebungen zu drei Zeitpunkten vorgenommen: 1. vor ReKo-Interventionsbeginn; 2. unmittelbar nach ReKo-Interventionsende; 3. sechs Monate nach ReKo-Interventionsende.
In die ReKo-Evaluationsarbeiten wurden insgesamt sieben Zielgruppen einbezogen:
- Personen mit somatischen und/oder kognitiven Beeinträchtigungen, die einem Pflegerisiko unterliegen, aber noch keine Einstufung nach Pflegegraden (gemäß SGB XI) erhalten haben.
- Personen mit sozialrechtlich anerkanntem Pflegebedarf (Pflegegrad nach SGB XI).
- Pflegende An- und Zugehörige.
- Professionelle Leistungserbringer und -erbringerinnen in Versorgungskontexten der ReKo-Probanden und Probandinnen (z. B. Pflegefachpersonen, Hausärzte und Hausärztinnen usw.).
- Informelle Unterstützungspersonen in Versorgungskontexten der ReKo-Probanden und Probandinnen (z. B. Ehrenamtliche, Selbsthilfegruppen usw.).
- Vertreter und Vertreterinnen von Krankenkassen sowie
- Akteure aus dem Bereich der regionalen Vernetzung (Kommunen, Vereine, Kultur usw.).
Menschen in präfinaler und finaler Lebensphase, Personen mit fortgeschrittenen demenziellen Erkrankungen sowie Personen unter 18 Jahren wurden aus den Untersuchungen ausgeschlossen.
Zur Effektmessung wurden folgende Primär- und Sekundärdaten erhoben und analysiert:
- Hospitalisierungsrate: GKV-Routinedaten
- Veränderung der Pflegebedürftigkeit und Pflegebedarfsentwicklung: GKV-Routinedaten, Barthel Index, interRAI Home Care
- Lebenszufriedenheit und Gesundheitsbezogene Lebensqualität: Standardisierte Fragebögen ›Allgemeine Lebenszufriedenheit‹ (FLZ) und ›Gesundheitsbezogene Lebensqualität‹ (SF 36)
- Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen SGB V und XI: GKV-Routinedaten
- Unterstützung in der Alltagsgestaltung und Haushaltsführung: Barthel Index, interRAI HC
- Belastungserleben: Häusliche Pflegeskala (HPS) und Burden Scale for Family Caregivers
- Entwicklung von Sorgenetzwerken: Standardisierter Fragebogen ›Sorgenetzwerkanalyse‹
- Infrastrukturanalyse: Standardisiertes Instrument ›Community-Health Assessment‹, Sekundärdaten aus Landkreisen und Kommunen
- Zusammenarbeit im Versorgungsmix: Qualitative Interviews und Fokusgruppen
- IT-Bewertung: Standardisierte Fragebögen ›Kurzskala Technikbereitschaft‹, ›Vertrauen in technologische Strukturen‹, Qualitative Interviews und Fokusgruppen
Fallzahlen (untersuchte Stichprobe) inkl. Drop-Out
Die untenstehende Tabelle bildet die erreichte Gesamt-Fallzahl der Zielgruppen 1-3 aus der Interventions- und Kontrollgruppe sowie die jeweiligen Dropout-Raten ab.