DAK-Gesundheitsreport 2024: Gesundheitsrisiko Hitze – Arbeitswelt im Klimawandel
Mit dem Klimawandel gehen nicht nur ökologische wie wirtschaftliche Herausforderungen einher, sondern er beeinflusst auch direkt die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen. Expertinnen und Experten warnen insbesondere vor den Folgen extremer Hitzewellen, die als Folge des Klimawandels vermehrt aufkommen. Es wird immer wichtiger, die damit einhergehenden Herausforderungen auch für die Arbeitswelt zu verstehen. Der diesjährige Gesundheitsreport legt daher den Fokus auf das Thema Hitze.
Wie wirken sich Hitzeperioden auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus? Welche Arbeitssettings sind am stärksten belastet? Welche gesundheitlichen Folgen zeigen sich bei den Beschäftigten? Welche betrieblichen Maßnahmen werden im Umgang mit Hitzewellen genutzt? Und welche Maßnahmen wünschen sich Beschäftigte?
Der DAK-Gesundheitsreport analysiert den Einfluss von Hitzeperioden – also längere Phasen mit außerordentlich hohen Temperaturen – aus der gesundheitlichen Perspektive der Beschäftigten. Die Analysen basieren zum einen auf Arbeitsunfähigkeitsdaten der DAK-Gesundheit, denen Auswertungen auf Basis von Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gegenübergestellt werden, und zum anderen auf einer breit angelegten Erwerbstätigenbefragung. Fundierte Einschätzungen aus Expertensicht und eine Literaturrecherche komplettieren die Untersuchung.
Zentrale Ergebnisse des Reports
Krankenstand 2023
- 2023 ist der Krankenstand, nach einem leichten Rückgang im Jahr 2021, verglichen mit 2022 auf einem konstanten Niveau bei 5,5 Prozent (2021: 4,0 Prozent).
Top 3 Erkrankungsgruppen
- Atemwegserkrankungen lagen mit einem Anteil von rund 20,6 Prozent hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Krankenstand an erster Stelle. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage noch einmal angestiegen (von 397,8 Tage pro 100 Versichertenjahre auf 415,2).
- Fehltage aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen liegen an zweiter Stelle (Anteil am Krankenstand 18,5 Prozent) und sind ebenfalls leicht gestiegen auf 373,4 AU-Tage pro 100 Versichertenjahre gegenüber 354,1 AU-Tagen je 100 Versichertenjahre im Vorjahr.
- Psychische Erkrankungen verursachten 16,1 Prozent des Krankenstandes und lagen somit auf Platz drei der wichtigsten Erkrankungsarten. 2023 gab es aufgrund von psychischen Erkrankungen 323,4 Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Versichertenjahre. Das waren erneut mehr AU-Tage als im Vorjahr (2022: 301,1 AU-Tage).
Fast ein Viertel der Beschäftigten während der Arbeit durch Hitze belastet
- Während Hitzewellen fühlen sich rund 22,9 Prozent der Beschäftigten bei ihren Tätigkeiten während der Arbeit stark belastet. Im Vergleich zu anderen Lebensbereichen geben damit die meisten Beschäftigten eine starke Belastung durch Hitze während der Erwerbsarbeit an, nur neun Prozent geben z.B. eine starke Belastung in der Freizeit und 18 Prozent bei täglichen privaten Aufgaben an. Weitere 40,0 Prozent geben bei Tätigkeiten während der Arbeit an, durch Hitze mäßig belastet zu sein. Über ein Viertel ist während der Arbeit wenig belastet (26,2 Prozent) und jeder Zehnte gar nicht (10,9 Prozent).
- Einen statistisch signifikanten Einfluss auf das Vorhandensein einer starken Hitzebelastung während der Arbeit haben den Ergebnissen des Reports zufolge das Alter und das Geschlecht: Ältere Beschäftigte sind hierbei zu größeren Anteilen belastet als junge und weibliche zu etwas größeren Anteilen als männliche Beschäftigte.
- Ebenso sind Beschäftigte mit zumindest vorwiegend körperlicher Tätigkeit im Vergleich zu geistig tätigen Beschäftigten stärker durch Hitze belastet und drinnen Beschäftigte sind signifikant seltener von Hitze während der Arbeit belastet als Beschäftigte, die überwiegend oder teilweise im Freien tätig sind.
- Auch chronisch körperlich oder chronisch psychisch kranke sowie adipöse Beschäftigte sind stärker durch Hitze am Arbeitsplatz belastet als Beschäftigte ohne diese Erkrankungen.
- Tätige in der Alten- oder Krankenpflege (Anteil der stark durch Hitze während der Arbeit Belasteten: 49,3 Prozent) sowie Tätige auf dem Bau oder dem Handwerk sind ebenfalls häufiger durch Hitze während der Arbeit belastet (Anteil der stark durch Hitze während der Arbeit Belasteten: 27,6 Prozent).
Hitzewellen beeinflussen die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten
- Hitze führt zu Leistungseinbußen und Produktivitätsverlusten der Beschäftigten: Über die Hälfte der Beschäftigten gibt an, in jüngeren Hitzeperioden nicht so produktiv wie üblich gewesen zu sein (52,6 Prozent), rund 42 Prozent hatten Konzentrationsschwierigkeiten. Mit Blick auf die Leistungsfähigkeit bei der Arbeit insgesamt geben über zwei Drittel der Beschäftigten an, dass die hohen Temperaturen ihre persönliche Leistungsfähigkeit einschränkte (deutliche Einschränkungen: 12,0 Prozent; leichte Einschränkungen: 57,2 Prozent). Bei 30,1 Prozent war die Leistungsfähigkeit trotz der hohen Temperaturen unverändert und bei weniger als einem Prozent erhöht.
Ein Fünftel der Beschäftigten hat wegen Hitze gesundheitliche Probleme
- 19,5 Prozent der Beschäftigte gibt an, bei Hitze gesundheitliche Probleme zu haben. Beschäftigte mit gesundheitlichen Problemen berichten am häufigsten von: Abgeschlagenheit/Müdigkeit (68,5 Prozent), Schlafproblemen (68,0 Prozent), vermehrtem Schwitzen (64,8 Prozent) oder Kreislaufbeschwerden (64,7 Prozent).
- In der Befragung gibt nur ein geringer Anteil der Beschäftigten an, wegen gesundheitlicher Probleme im Sommer 2023 durch Hitze krankgeschrieben (0,98 Prozent) gewesen zu sein bzw. sich krankgemeldet zu haben (1,12 Prozent), 17 Prozent gingen trotz gesundheitlicher Probleme durch Hitze zur Arbeit.
Krankschreibungen in Hitzeperioden
Auf Basis von Daten zu den Krankschreibungen der DAK-versicherten Beschäftigten und Daten des Deutschen Wetterdienstes wurde die zeitliche Entwicklung der Krankschreibungen in den Monaten Mai bis September für die Jahre 2018 bis 2023 untersucht und der Entwicklung der Tagestemperaturen gegenübergestellt.
- Es zeigt sich ein deutlicher Anstieg von Krankschreibungen aufgrund von Kreislauferkrankungen (ICD-10 I00-I99) bei einem Anstieg der Tagestemperaturen. Die höchste Zahl Krankschreibungen zeigt sich für das Jahr 2018 in einer Woche mit einer Tagesmaximaltemperatur von 30,8 Grad Celsius im Wochenmittel mit 10 beginnenden Krankschreibungen je 10.000 DAK-Versicherte. Im Jahr 2023 lag die Zahl der Krankschreibungen durch Kreislauferkrankungen im selben Zeitraum (Tagesmaximaltemperatur von 21 Grad Celsius) etwa bei der Hälfte mit 5,1 beginnenden AU-Fällen je 10.000 DAK-Versicherter.
- Auch bei der Diagnose „Schäden durch Hitze und Sonnenlicht“ (ICD-10 T67) zeigt sich eine parallele Entwicklung der Krankschreibungshäufigkeit und dem Auftreten besonders heißer Phasen im Sommer. Die AU-Daten der DAK-Gesundheit zeigen die meisten dieser Krankschreibungen seit dem Jahr 2000 für das Jahr 2018, in dem es auch die meisten heißen Tage gab.
- Die zunehmende Anzahl an Krankschreibungen bei steigenden Temperaturen in den Sommermonaten führt aber bisher nicht zu einem Anstieg des Krankenstandes insgesamt, da insbesondere Krankschreibungen aufgrund von Atemwegserkrankungen (ICD-10 J00-J99) in den wärmeren Sommermonaten abnehmen. Somit wird durch den starken Rückgang der Krankschreibungen wegen Atemwegserkrankungen der Anstieg durch Kreislauferkrankungen überkompensiert. Die Ergebnisse zeigen dennoch, dass aktuell schon Einflüsse von Hitzeperioden auf die Gesundheit von Beschäftigten bestehen. In Abhängigkeit von der gewählten Klimaprojektion, ist zu erwarten, dass die Häufigkeit von Hitzeperioden und somit die Anzahl hitzebedingter Krankschreibungen in den nächsten Jahrzehnten zunehmen.
Verbreitung und Nutzung verschiedener betrieblicher Maßnahmen zum Umgang mit Hitze
- In den Betrieben sind Maßnahmen zur direkten Abmilderung der Hitzebelastung durch das individuelle Handeln bereits etabliert. So können fast drei Viertel der Beschäftigten den Arbeitsort durch Abdunklung oder Beschattung kühlen oder erhalten geeignete Getränke. Solche Angebote werden zudem, wenn vorhanden, häufig genutzt. Beschäftigte, die die Möglichkeit zur Abdunklung oder Beschattung haben, geben nur zu vier Prozent an, diese Maßnahme bei Hitze nicht zu nutzen. Weitere vier Prozent haben diese Möglichkeit nicht und würden sie auch nicht nutzen. Allerdings würden 16 Prozent der Beschäftigten eine Abdunklung nutzen, wenn es dieses Angebot in ihrem Betrieb gäbe.
- Anders stellt sich die Situation bei Maßnahmen der Arbeitsorganisation dar, wie z.B. der Möglichkeit zur Anpassung der Arbeitszeit, um besonders heiße Tagesabschnitte zu meiden. Rund 46 Prozent der Beschäftigten haben diese Möglichkeit, aber 13 Prozent nutzen dieses Angebot nicht. Weitere 20 Prozent haben dieses Angebot nicht und würde es auch nicht nutzen, 26 Prozent der Beschäftigten wünschen sich ein solches Angebot und würden es nutzen.
- Die Möglichkeit einer längeren Unterbrechung der Arbeit im Rahmen einer sog. „Siesta“ steht weniger als jedem fünften Beschäftigten zur Verfügung (17,9 Prozent), es wird aber von weniger als der Hälfte genutzt (8,4 Prozent in Bezug auf alle Beschäftigten). Auch bei denjenigen, die das Angebot zur „Siesta“ nicht haben, gibt die Mehrheit an, es nicht nutzen zu wollen.
- Ungefähr ein Viertel der Beschäftigten gibt an, dass ihre Führungskraft in Hitzeperioden auf das Wohlergehen der Beschäftigten (28 Prozent) bzw. auf den Hitzeschutz achtet. Ebenfalls rund ein Viertel fühlt sich durch den Betrieb gut über den Umgang mit Hitze informiert (27 Prozent).
- Allgemein haben weniger als ein Drittel der Beschäftigten im Umgang mit Krisen, wie z. B. der Klimakrise oder dem Fachkräftemangel, die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse in Veränderungsprozesse einzubringen. Zudem teilen rund 40 Prozent der Beschäftigten die Einschätzung, die Betriebe reagierten häufig nicht zeitnah auf Krisen und Herausforderungen. Ein Fünftel der Beschäftigten gibt an, dass ihre Erfahrungen mit Veränderungsprozessen regelmäßig nachgefragt und die Prozesse entsprechend angepasst werden.
Einschätzungen zur Zukunft im Klimawandel
- Ein Viertel der Beschäftigten blickt negativ in die Zukunft und erwartet, dass sich die Arbeitsbedingungen im eigenen Arbeitsbereich durch wiederkehrende Hitzeperioden verschlechtern werden. Bei Beschäftigten, die aktuell schon eine starke Belastung bei der Arbeit durch Hitze angeben, erwarten dies fast die Hälfte.
- Fast Zweidrittel der Beschäftigten geben an, dass insgesamt mehr für den Klimaschutz getan werden sollte. Nur 15,2 Prozent sind der Meinung, dass seitens der Betriebe ausreichend Klimaschutz-Maßnahmen unternommen werden.
Auf ein Wort
Download: Gesundheitsreport 2024 als eBook
Datengrundlage und Methodik
Darauf basiert der Gesundheitsreport 2024
Die Ergebnisse des Gesundheitsreports stützen sich auf verschiedene Datenquel-len. Hierbei handelt es sich zum einen um die Arbeitsunfähigkeitsdaten der DAK-Gesundheit, die durch Wetter-Daten es Deutschen Wetterdienstes (kurz DWD) ergänzt werden. Die gesamte Datenbasis für das Berichtsjahr 2023 umfasst rund 2,4 Mio. Mitglieder der DAK-Gesundheit mit Krankengeldanspruch. Die Daten des DWD beruhen auf 69 bundesweit verteilten Messstationen (Ausschluss von Berg- und Seestationen wie z.B. der Deutschen Bucht oder der Zugspitze) und bereits aufbereiten Zeitreihendaten.
Zum anderen wurde eine standardisierte Online-Befragung von 7.052 abhängig Beschäftigten im Alter von 18 bis 65 Jahren durchgeführt. Die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung stellen die Grundlage für zentrale Ergebnisse des Reports, insbesondere zu den Auswirkungen von Hitzewellen sowie den betrieblichen Maßnahmen.
Weitere erhobene Themen sind Informationen zu den Arbeitsbedingungen, die gesundheitliche Situation der Beschäftigten sowie allgemeine Bewertungen durch die Beschäftigten zum Umgang der Betriebe mit Krisen.
Die Befragung wurde durch das IGES Institut konzipiert und im Zeitraum 22. August 2023 bis 08. September 2023 durch die Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH als Online-Befragung realisiert. Das von Forsa verwendete Panel befragt auch Personen ohne Internetanschluss (diese Gruppe nimmt mittels einer Box am Fernsehgerät an Befragungen teil), sodass es hier nicht zu einer Verzerrung dahingehend kommt, dass nur Personen mit Internetanschluss beteiligt wären. Die Rücklaufquote wird von Forsa mit 35 Prozent angegeben. Alle im Gesundheitsreport dargestellten Auszählungen und Analysen wurden durch das IGES Institut auf Basis des von Forsa übernommenen Rohdatensatzes erstellt.
Die Befragten wurden auf Basis der Daten des Mikrozensus nach Alter, Geschlecht Bildung und Bundesland gewichtet, sodass der Datensatz repräsentativ für die abhängig beschäftigte Bevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren in Deutschland ist.
Eine weitere Datenquelle stellt eine halbstandardisierte Befragung von Expertinnen und Experten aus verschiedenen klima- bzw. gesundheitsrelevanten Forschungsbereichen, der Politik sowie der betrieblichen Praxis zum betrieblichen Gesundheitsmanagement dar. Sie wurden unter anderem zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Erwerbstätige sowie dem Umgang der Betriebe mit Krisen und Herausforderungen befragt. Außerdem wurden sie um eine Einschätzung gebeten, welche verschiedene betrieblichen Maßnahmen dazu geeignet sind, Erwerbstätige im Umgang mit Hitzewellen zu unterstützen und inwieweit bei solchen Maßnahmen Entwicklungsbedarf besteht.