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DAK Mediensucht-Studie 2024: Problematische Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen

Bild: Eine Gruppe von Jugendlichen steht im Kreis und hält jeweils ein Handy in der Hand.

Seit 2019 führt das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) mit Förderung der DAK-Gesundheit eine Längsschnittstudie zum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland durch. Die Längsschnittstudie ermöglicht Mediennutzungsmuster von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die Prävalenz des problematischen Nutzungsverhaltens und assoziierte Risikofaktoren zu untersuchen. Die Studie umfasst mittlerweile sieben Messzeitpunkte zwischen 2019 und 2024 und ermöglicht somit Entwicklungen vor, während und nach dem Pandemiezeitraum abzubilden. Ein Teil des Fragebogens wird in der längsschnittlichen Befragung kontinuierlich eingesetzt, um eine Vergleichbarkeit über die Messzeitpunkte zu gewährleisten. Zusätzliche Inhalte richten sich jeweils nach dem aktuellen Forschungsstand und gesellschaftlichen Trends.

Die Fragestellungen der siebten Erhebungswelle (September/Oktober 2024) lauten:

  • Wie entwickeln sich Nutzungszeiten und riskante bzw. pathologische Nutzungsmuster (nach ICD-11 Kriterien) in Bezug auf digitale Spiele, soziale Medien und Video-Streaming-Dienste bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland?
  • Wie häufig erleben Kinder, Jugendliche oder Eltern in Deutschland Phubbing (d.h. unangemessene Nutzung des Smartphones in sozialen Interaktionen)? Wie steht Phubbing im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit?
  • Wie ist die elterliche Haltung gegenüber Chancen und Risiken von digitalen Medien für ihre Kinder? Wen sehen Eltern in der Verantwortung, Kindern und Jugendlichen ein sicheres Aufwachsen in der digitalen Welt zu ermöglichen? Welche medienbezogenen Schutzmaßnahmen ergreifen Eltern?

Auf einen Blick: Zentrale Ergebnisse der siebten Befragungswelle

Nutzungszeiten

10- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche in Deutschland verbringen im Herbst 2024 werktags durchschnittlich 105 Minuten und am Wochenende 171 Minuten täglich mit Gaming. Für soziale Medien sind es werktags 157 Minuten und am Wochenende 227 Minuten. Video-Streaming-Dienste werden werktags 93 Minuten und am Wochenende 145 Minuten lang genutzt. Damit sind die Nutzungszeiten ähnlich zum Jahr 2023 (Vorwelle), erreichen jedoch noch nicht wieder das präpandemische Niveau. 

Prävalenzen riskanter und pathologischer Mediennutzung (nach ICD-11 Kriterien)

Digitale Spiele: Der Abwärtstrend in der Prävalenz der riskanten und pathologischen Nutzung aus der Vorwelle setzt sich weiter fort. Mit 3,4 % nähert sich die pathologische Nutzung dem präpandemischen Niveau von 2,7 % (Sep. 2019; vgl. Abb. 1). Insgesamt weisen mehr als 700.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland problematische (d.h. riskante oder pathologische) Nutzungsmuster in Bezug auf digitale Spiele auf. Dabei sind Jungen mehr als doppelt so häufig von einer pathologischen Nutzung betroffen wie Mädchen. Es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern (10 bis 13 Jahre) und Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) festgestellt werden (vgl. Abb. 1, rechts).

Bild: Säulendiagramm zur riskanten und pathologischen Nutzung digitaler Spiele bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Abb1

Abb.1. Riskante und pathologische Nutzung digitaler Spiele unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland von 2019 bis 2024 [Hinweis: nicht in allen Wellen erhoben]. Rechts: Prävalenz pathologischer Nutzung im Sep./Okt. 2024 nach Geschlecht und Altersgruppe. Kasten rechts oben: Hochrechnungen zur Anzahl betroffener 10- bis 17-Jähriger in Deutschland auf Basis gewichteter Prävalenzen im Sep./Okt. 2024. 

Soziale Medien: Ein rückläufiger Trend ist auch hinsichtlich der problematischen Nutzung sozialer Medien festzustellen, erstmals seit Beginn der Pandemie auch in der riskanten Nutzung (vgl. Abb. 2). Insgesamt weist jedoch weiterhin mehr als jedes vierte Kind im Alter zwischen 10 und 17 Jahren in Deutschland problematische Nutzungsmuster auf, was mehr als 1,3 Millionen Betroffenen entspricht. Es konnten keine signifikanten geschlechts- oder altersspezifischen Unterschiede festgestellt werden, wobei Jungen, tendenziell häufiger betroffen sind (vgl. Abb. 2, rechts). 

Abb2

Abb. 2. Riskante und pathologische Nutzung sozialer Medien unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland von 2019 bis 2024 [Hinweis: nicht in allen Wellen erhoben]. Rechts: Prävalenz pathologischer Nutzung im Sep./Okt. 2024 nach Geschlecht und Altersgruppe. Kasten rechts oben: Hochrechnungen zur Anzahl betroffener 10- bis 17-Jähriger in Deutschland auf Basis gewichteter Prävalenzen im Sep./Okt. 2024.

Video-Streaming: Die Prävalenz der riskanten Nutzung hält sich mit 13,4 % auf einem ähnlichen Niveau wie in den beiden Erhebungswellen zuvor (vgl. Abb. 3). Im Gegensatz zu Gaming und Social Media ist jedoch eine deutliche Steigerung der pathologischen Nutzung zu verzeichnen, die mit 2,6 % einen neuen Höchststand erreicht. Die problematische Nutzung summiert sich insgesamt auf mehr als 900.000 betroffenen 10- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Wie in den Vorwellen gibt es keine signifikanten geschlechts- oder altersspezifischen Unterschiede (vgl. Abb. 3, rechts).

Abb3

Abb. 3. Riskante und pathologische Nutzung von Video-Streaming-Diensten unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland von 2022 [erstmalige Erhebung] bis 2024. Rechts: Prävalenz pathologischer Nutzung im Sep./Okt. 2024 nach Geschlecht und Altersgruppe. Kasten rechts oben: Hochrechnungen zur Anzahl betroffener 10- bis 17-Jähriger in Deutschland auf Basis gewichteter Prävalenzen im Sep./Okt. 2024.

Verbreitung und Auswirkungen von Phubbing

  • Etwa jedes dritte Kind (29,2 %) oder Elternteil (35,2 %) fühlt sich in sozialen Interaktionen zumindest manchmal durch die Smartphone-Nutzung des Gegenübers ignoriert – ein Phänomen, das auch als Phubbing bezeichnet wird. Jede bzw. jeder vierte Befragte (25,2 - 28,2 %) berichtet von daraus resultierenden Konflikten.
  • Kinder und Jugendliche, die von wiederholten und intensiven Phubbing-Erfahrungen berichten, sind psychisch deutlich belasteter (d.h. depressiver, einsamer, gestresster und ängstlicher) als Kinder und Jugendliche, die nur gelegentlich oder selten Phubbing erfahren.

Phubbing 

Phubbing ist eine Wortkombination aus den englischen Wörtern Phone (= Telefon) und Snubbing (= schroffe Abweisung) und beschreibt die unangemessene Nutzung des Smartphones in sozialen Situationen.

Elterliche Haltung und medienschutzbezogenes Handeln

  • Eltern erkennen zwar die Bedeutung digitaler Medien als Lernressource an, sehen jedoch häufiger die Risiken (z.B. ungeeignete Inhalte und Kontaktrisiken) als die Chancen. 
  • Die Mehrheit der Eltern betrachtet die Sicherstellung eines sicheren digitalen Aufwachsens als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und fordert verstärktes Engagement von Schule und Staat. 
  • Das medienschutzbezogene Handeln der Eltern nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder ab: Während bei jüngeren Kindern restriktive Maßnahmen wie Zeit- und Inhaltsregeln dominieren, weicht dieser Ansatz bei älteren Jugendlichen einem dialogorientierten Stil, der mehr auf die Selbstregulationsfähigkeiten Heranwachsender setzt. Unabhängig vom Kindesalter informiert sich nur knapp die Hälfte aller Eltern regelmäßig über Online-Risiken und Vorbeugemaßnahmen.

Fazit

  • Problematische Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen als anhaltende Herausforderung: Trotz einiger positiver Entwicklungen bleiben die Prävalenzen problematischer Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen hoch, sodass weiterhin Bedarf an gezielten Interventionen zur Förderung eines gesunden und verantwortungsvollen Medienkonsums besteht.
  • Aufstrebende Problematik bei Video-Streaming: Der deutliche Anstieg des pathologischen Streamings signalisiert ein aufkommendes Problemfeld, das besondere Aufmerksamkeit und gezielte Maßnahmen erfordert.
  • Digitale Ablenkung vs. echte Verbindung: Die hohe Prävalenz des Phubbings und dessen negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unterstreichen die Notwendigkeit, den bewussten und rücksichtsvollen Umgang mit Smartphones in sozialen Interaktionen zu fördern.
  • Diskrepanz zwischen elterlicher Wahrnehmung und Handeln: Obwohl Eltern die Risiken digitaler Medien erkennen, zeigt sich eine Lücke im medienschutzbezogenen Handeln, insbesondere bei der proaktiven Informationsbeschaffung über Online-Risiken. Dies impliziert einen Bedarf an gezielter Elternbildung und Unterstützung.
  • Gesamtgesellschaftlicher Ansatz erforderlich: Um Kinder und Jugendliche im digitalen Zeitalter zu schützen und für eine verantwortungsvolle Mediennutzung zu sensibilisieren bedarf es an koordinierten Bemühungen von Eltern, Schulen, staatlichen Institutionen und Anbietern digitaler Dienste. Insbesondere im Bereich der verhältnispräventiven Maßnahmen (z.B. staatliche Regulierung, schulische Medien- und Gesundheitsbildung) besteht in Deutschland noch großer Handlungsbedarf. 

 

Auf ein Wort

  • Porträtfoto von Prof. Dr. Rainer Thomasius

    Trotz einiger positiver Entwicklungen bleiben die Prävalenzen problematischer Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen hoch, sodass weiterhin Bedarf an gezielten Interventionen zur Förderung eines gesunden und verantwortungsvollen Medienkonsums besteht.

    Prof. Dr. Rainer Thomasius, UKE Hamburg

Download: Studie

Methodik und Auswertung

Bei der Längsschnittstudie handelt es sich um eine Online-Befragung, die durch das Meinungsforschungsinstitut forsa durchgeführt wird. Befragt werden Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren und jeweils ein dazugehöriger Elternteil. Zu jeder Erhebungswelle werden einerseits die Familien kontaktiert, die bereits an vorherigen Wellen teilgenommen haben, andererseits aber auch neue Familien befragt, um die Repräsentativität der Stichprobe für die 10- bis 17-Jährigen zu gewährleisten. Durch die Wiederholungsbefragung sind einige Kinder und Jugendliche bereits älter als 17 Jahre, diese werden in den repräsentativen Trendergebnissen nicht mitberücksichtigt. In der siebten Erhebungswelle umfasste die Repräsentativstichprobe 1.008 befragte Familien. Der Erhebungszeitraum war 24. September – 14. Oktober 2024.

Im Rahmen der Befragung wurden standardisierte psychologische Instrumente und Einzelitems zur Nutzung von digitalen Spielen, sozialen Medien und Streaming-Diensten eingesetzt. Zur Erfassung der Computerspielstörung sowie des riskanten Gamings anhand der ICD-11-Kriterien wurde der validierte Fragebogen GADIS-A (engl. Gaming Disorder Scale for Adolescents) (1) eingesetzt. Auf Basis der ICD-11-Kriterien zur Computerspielstörung wurden die validierten Fragebögen SOMEDIS-A (engl. Social Media Disorder Scale for Adolescents) (2) und STREDIS-A (engl. Streaming Disorder Scale for Adolescents) (3) eingesetzt, um die riskante und pathologische Nutzung von sozialen Medien und Streaming-Diensten zu erfassen. Eine ausführliche Beschreibung aller verwendeten Messinstrumente befindet sich im Ergebnisbericht zur Studie. 

Die statistischen Analysen wurden mittels etablierter statistischer Verfahren mit nachfolgender Ergebnisinterpretation durch das DZSKJ durchgeführt. Dafür wurde das Statistikprogramm R genutzt. Für den vorliegenden Ergebnisbericht wurden überwiegend deskriptive Ergebnisse dargestellt (z.B. relative Häufigkeiten, standardisierte Mittelwerte). Die statistischen Signifikanzen wurden abhängig vom Skalenniveau mittels t-Tests oder Chi-Quadrat-Tests (zweiseitig) errechnet. Ein Wert von p < 0,05 wird als statistisch signifikant gewertet. Angaben sind in der Regel gerundet. Die Effektstärken wurden mithilfe von Cohen's d erfasst. Ein Cohen's d-Wert von 0,2 wird als geringfügiger Effekt betrachtet, während Werte ab 0,5 als moderater und ab 0,8 als starker Effekt gelten.

Referenzen

  1. Paschke, K., Austermann, M. I. & Thomasius, R. (2020). Assessing ICD-11 Gaming Disorder in Adolescent Gamers: Development and Validation of the Gaming Disorder Scale for Adolescents (GADIS-A). Journal Of Clinical Medicine, 9(4), 993. Externer Linkhttps://doi.org/10.3390/jcm9040993 

  2. Paschke, K., Austermann, M. I. & Thomasius, R. (2021d). ICD-11-Based Assessment of Social Media Use Disorder in Adolescents: Development and Validation of the Social Media Use Disorder Scale for Adolescents. Frontiers in Psychiatry, 12. Externer Linkhttps://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.661483 

  3. Paschke, K., Napp, A. & Thomasius, R. (2022). Applying ICD-11 criteria of Gaming Disorder to identify problematic video streaming in adolescents: Conceptualization of a new clinical phenomenon. Journal Of Behavioral Addictions. Externer Linkhttps://doi.org/10.1556/2006.2022.00041 

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