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Mediensucht: Nutzung digitaler Medien von Kindern und Jugendlichen vor und während der Pandemie

Mediensucht: Ein Mädchen und ein Junge liegen in einem dunklen Zimmer auf dem Boden und schauen müde auf ihr Smartphone.

Die DAK/DZSKJ Längsschnittstudie ermöglicht, kindliche sowie jugendliche Nutzungsmuster über den Ausbruch der Pandemie in Deutschland hinweg abzubilden. Die erste der insgesamt fünf Online-Befragungen wurde im September 2019 durchgeführt (Vorkrisenniveau). Weitere Erhebungen fanden im April 2020 (Vier Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns), November 2020 (regional bedingte Einschränkungen), Mai 2021 (zunehmende Lockerungen der Einschränkungen) und Juni 2022 statt (Einfinden in „neue Normalität“). Die Stichprobengröße umfasste jedes Jahr rund 1.000 10- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche und jeweils ein Elternteil aus repräsentativ ausgewählten deutschen Haushalten.

Die wichtigsten Ergebnisse der 5. Befragungswelle (Juni 2022) haben wir hier zusammengefasst.


Zentrale Ergebnisse aus der Mediensucht-Studie

1. Nutzungszeiten

Digitale Spiele

  • 85 % der Kinder und Jugendlichen gaben an, digitale Spiele regelmäßig (mindestens einmal wöchentlich) zu nutzen.
  • Die Nutzungszeiten dieser regelmäßigen Nutzerinnen und Nutzer betrugen 1,9 Stunden unter der Woche und 3 Stunden am Wochenende. Auch wenn die Nutzungszeiten im bisherigen Verlauf der Pandemie rückläufig waren, stagnieren sie jetzt auf einem ähnlich hohen Niveau und sind immer noch deutlich höher als noch vor der Pandemie.
  • Jungen nutzten digitale Spiele täglich rund 40 bis 60 Minuten länger als Mädchen.

Soziale Medien

  • 89 % der Kinder und Jugendlichen gaben an, soziale Medien mindestens einmal wöchentlich zu nutzen, die meisten von ihnen auch täglich (65 %).
  • Die Nutzungszeiten sozialer Medien lagen bei 2,7 Stunden pro Tag unter der Woche und bei 3,8 Stunden pro Tag am Wochenende. Das ist eine signifikante Zunahme der Nutzungszeiten verglichen zum Vorjahr (Mai 2021) und erstmals wieder eine deutliche Zunahme in den Nutzungszeiten seit Beginn der Pandemie, trotz zunehmendem Wegfall der pandemiebedingten Beschränkungen.

Streaming

  • 83 % der Kinder und Jugendlichen nutzten Streaming-Dienste mindestens einmal wöchentlich, 32% nutzten sie täglich.
  • Die Nutzungszeiten von Streaming-Diensten lagen bei der fünften Befragung bei durchschnittlich 1,8 Stunden pro Tag unter der Woche und bei 2,8 Stunden pro Tag am Wochenende. Verglichen zu Mai 2021 entspricht dies einem signifikanten Rückgang um durchschnittlich 34 % (- 63 Minuten), sodass die Nutzungszeiten nun wieder ähnlich hoch sind wie noch bei der dritten Befragung im November 2020.

2. Nutzungsmuster

Digitale Spiele

  • Ungefähr 620.000 (11,8 %) Kinder und Jugendliche erfüllten die ICD-11-Kriterien für riskantes Computerspielverhalten (eng. hazardous gaming) und rund 330.000 (6,3 %) erfüllten die Kriterien für pathologisches Computerspielverhalten (eng. Gaming Disorder). Das sind mehr als doppelt so viel Betroffene wie noch vor Beginn der Pandemie.
  • Jungen machten mit etwas mehr als zwei Drittel (68 %) immer noch den größten Teil der problematischen (d.h. riskanter und pathologischer) Nutzerinnen und Nutzer digitaler Spiele aus, jedoch sind verglichen zum Vorjahr auch immer mehr Mädchen betroffen. So ist der Anteil pathologischer Nutzerinnen unter den Mädchen von 1,7 % (2021) auf 4,1 % (2022) gestiegen. Der Anstieg in problematischen Nutzungsmustern zum Vorjahr ist demnach vor allem auf eine Zunahme des Anteils pathologischer Nutzerinnen unter den Mädchen zurückzuführen.

Soziale Medien

  • 16,4 % der Kinder und Jugendlichen erfüllten die Kriterien eines riskanten Nutzungsverhaltens nach Übertragung der ICD-11-Kriterien des riskanten Gamings auf die Nutzung sozialer Medien. 6,3 % der Kinder und Jugendlichen erfüllten Kriterien einer Social Media Disorder, d.h. einer pathologischen Nutzung sozialer Medien im Hinblick auf die vorangegangenen 12 Monate. Das entspricht ungefähr einer Verdoppelung der problematischen (d.h. riskanter und pathologischer) Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer unter deutschen Kindern und Jugendlichen seit Beginn der Pandemie (2019: 609.000, 2022: 1.218.000).
  • Der Anteil von Mädchen und Jungen unter den problematischen Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern war vergleichbar.

Streaming

  • Erstmals wurden bei der fünften Befragung auch die riskante und die pathologische Nutzung von Streaming-Diensten erhoben. 13,9 % der Kinder und Jugendlichen erfüllten, nach Übertragung der ICD-11-Kriterien des riskanten Gamings auf die Nutzung von Streaming-Diensten, die Kriterien eines riskanten Nutzungsverhaltens.
  • Die pathologische Nutzung von Streaming-Diensten war mit 2,3 % betroffener Kinder und Jugendlicher insgesamt weniger verbreitet als die pathologische Nutzung von digitalen Spielen (6,3 %) oder sozialen Medien (6,7 %). Hochgerechnet entspricht dies rund 126.000 10- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die die Kontrolle über ihr Streaming-Verhalten verloren haben.
  • Mädchen und Jungen waren ungefähr gleich häufig vom problematischen Streaming betroffen.

Weitere Ergebnisse

Überschneidung von problematischen Nutzungsmustern 

  • 5,1 % aller befragten Kinder und Jugendlichen waren von einer problematischen Nutzung von sowohl digitalen Spielen als auch sozialen Medien betroffen. Ähnliche Zahlen zeigten sich für die Überschneidungen zwischen problematischen Nutzungsmustern von digitalen Spielen und Streaming-Diensten (4,7 %), oder Streaming-Diensten und sozialen Medien (4,5 %).
  • 1,1 % aller befragten Kinder und Jugendlichen waren von einer medienübergreifenden Problematik betroffen, d.h. sie wiesen problematische Nutzungsmuster im Hinblick aller drei Medien auf.

Media-Multitasking

  • Bis zu 85 % der Kinder und Jugendlichen gaben an, mindestens selten parallel mehrere digitale Medien zu nutzen (Media-Multitasking). Am häufigsten werden Messenger-Dienste (z.B. WhatsApp) nebenbei genutzt.
  • Media-Multitasking war unter den pathologischen Nutzerinnen und Nutzern von digitalen Medien deutlich verbreiteter als in den riskanten und unauffälligen Nutzergruppen. 

Körperliche Auswirkungen mehrstündiger Nutzung 

  • Rund ein Drittel (32,1 %) der befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, nach einer mehrstündigen Nutzung von digitalen Geräten an Nackenschmerzen zu leiden (mindestens „manchmal“). 23,4 % der Kinder und Jugendlichen berichteten von trockenen oder juckenden Augen, während 16,9 % angaben, Schmerzen im Unterarm oder in der Hand zu haben.

Fazit

  • Die aktuellen Nutzungszeiten von digitalen Spielen und sozialen Medien liegen trotz der beobachteten Reduktion nach dem ersten Corona-Lockdown noch immer deutlich über dem Vorkrisenniveau. Die Nutzungszeiten von sozialen Medien nehmen sogar erstmals wieder zu und sind am Wochenende fast wieder so hoch wie zu Beginn der Pandemie.
  • Die Entwicklung pathologischer Nutzungsmuster von digitalen Spielen und sozialen Medien ist alarmierend: Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen nimmt im Verlauf der Pandemie trotz zunehmender Lockerungen der Beschränkungen weiter zu und hat sich seit 2019 bereits mehr als verdoppelt.
  • Digitale Medien werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Lebenskontext von Kindern und Jugendlichen spielen. Das zuvor beschriebene Ausmaß der problematischen Mediennutzung und die damit einhergehenden höheren Nutzungszeiten machen deutlich, wie wichtig eine kontinuierliche wissenschaftliche Erfassung der Entwicklungen auch über die Pandemie hinaus sowie die Ausweitung von Präventions- und Hilfsangeboten ist.

Download: Booklet zur Studie

Datengrundlage und Methodik

Darauf basiert die Mediensucht-Studie

Die repräsentative Längsschnittstudie zur Mediennutzung im Verlauf der Corona-Pandemie untersuchte an rund 1.200 Familien die Häufigkeiten pathologischer und riskanter Gaming-, Social-Media- und Streaming-Dienst-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen nach den neuen ICD-11-Kriterien der WHO. Die DAK-Gesundheit führte dazu gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in mehreren Wellen Befragungen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa durch. 

Zum ersten Erhebungszeitpunkt (13. bis 27. September 2019) nahmen 1.221 Kinder und Jugendliche im Alter von 10-17 Jahren sowie je ein Elternteil aus repräsentativ ausgewählten Deutschen teil. Für die zweite Erhebung (20. bis 30. April 2020) wurden die gleichen Haushalte wie im September 2019 kontaktiert. Von diesen nahmen 824 Familien teil. Für alle weiteren Befragungen wurden die Familien kontaktiert, die bereits an den Befragungen zuvor teilgenommen haben, zusätzlich aber auch neue Eltern-Kind-Dyaden befragt. So konnte die Repräsentativität der Stichprobe und eine Vergleichbarkeit der Prävalenzerhebungen unter 10- bis 17-Jährigen für Zeitpunkte vor und unter der Pandemie gewährleistet werden. An der dritten Befragung (10. November bis 1. Dezember 2020) nahmen insgesamt 1.216 Familien teil, von denen 572 bereits an allen vorherigen Erhebungen teilgenommen hatten. Die vierte Befragung (19. Mai bis 6. Juni 2021) umfasste 1.250 Familien, von denen 422 an allen vier Befragungen teilgenommen haben, und die fünfte Befragung (10. Juni bis 1. Juli 2022) 1217 Familien, von denen 313 an allen fünf Befragungen teilgenommen haben. 

Im Rahmen der Befragung wurden standardisierte psychologische Instrumente und Einzelitems zur Nutzung von digitalen Spielen, sozialen Medien und Streaming-Diensten eingesetzt. Zur Erfassung der Computerspiel-Störung sowie dem riskanten Gaming anhand der ICD-11-Kriterien wurde der validierte Fragebogen GADIS-A (engl. Gaming Disorder Scale for Adolescents) [1] eingesetzt. Basierend auf den ICD-11-Kriterien zur Computerspiel-Störung wurden die angepassten und validierten Fragebögen SOMEDIS-A (engl. Social Media Disorder Scale for Adolescents ) [2] und STREDIS-A (engl. Streaming Disorder Scale for Adolescents) [3] zur Erfassung von riskanter und pathologischer Nutzung von sozialen Medien und Streaming-Diensten eingesetzt. Die Nutzungszeiten und Prävalenzen wurden jeweils für die repräsentativen Gesamtstichproben der 10- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen errechnet und zwischen den Jahren statistisch verglichen. 

Die statistischen Analysen wurden mittels etablierter statistischer Verfahren mit nachfolgender Ergebnisinterpretation durch das DZSKJ durchgeführt. Dafür wurde die Statistiksoftware R genutzt.

Quellen:
[1] Paschke, K., Austermann, M. I., & Thomasius, R. (2020). Assessing ICD-11 Gaming Disorder in Adolescent Gamers: Development and Validation of the Gaming Disorder Scale for Adolescents (GADIS-A). Journal of clinical medicine, 9(4), 993. https://doi.org/10.3390/jcm9040993
[2] Paschke, K., Austermann, M. I., & Thomasius, R. (2021). ICD-11-based assessment of social media use disorder in adolescents: Development and validation of the Social Media Use Disorder Scale for Adolescents. Frontiers in Psychiatry, 12, 661483. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.661483 
[3] Paschke, K., Napp, A. K., & Thomasius, R. (2022). Applying ICD-11 criteria of Gaming Disorder to identify problematic video streaming in adolescents: Conceptualization of a new clinical phenomenon. Journal of Behavioral Addictions. https://doi.org/10.1556/2006.2022.00041
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