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Toxische Beziehungen – erkennen und verlassen

Sexualtherapeut Umut Özdemir erklärt, woran man toxische Beziehungen erkennt

Du liebst deinen Partner bzw. deine Partnerin, leidest aber in der Beziehung? Du hast das Gefühl, es fehlen Respekt, Augenhöhe und du bist laut deinem Partner an allem negativen in der Beziehung schuld? Dann kann es sein, dass du in einer toxischen Partnerschaft l(i)ebst. Was genau das bedeutet und wie du dich daraus befreien kannst, klären wir im Folgenden.

Was sind toxische Beziehungen?

Der Begriff „toxisch“ bedeutet so viel wie „giftig“. Gemeint sind Beziehungen, in der einer der Partner den anderen bewusst manipuliert, kontrolliert, einschüchtert, demütigt, beleidigt, bedroht, stalkt und/oder von Freunden und der Familie isoliert. Das klingt hart? Ist es auch.

„Toxische Beziehung“ ist nicht der Fachbegriff. In der Psychologie spricht man von einer dysfunktionalen Beziehung. Einfach ausgedrückt: Eine Person unterdrückt eine andere systematisch mit dem Ziel, die zweite Person zu kontrollieren und Macht über sie auszuüben.

Toxische Beziehung gibt es überall

In Partnerschaften, Ehen, Freundschaften, in der Familie, mit der Lehrerin oder mit dem Chef – toxische Beziehungen können in allen Konstellationen auftreten, in denen Menschen miteinander zu tun haben. Schwere Beziehungsphasen bedeuten aber nicht automatisch Toxizität. Streit, Unglücklichsein oder Wut kann es phasenweise auch in einer normalen Beziehung geben.

Wie verläuft eine toxische Beziehung?

Betroffene schildern immer wieder, dass ihre Beziehung toll begonnen hat. Sie schwebten auf Wolke 7 und alles war super intensiv. Das Problem ist laut Psychologinnen und Psychologen, dass sich daraus, also aus den super intensiven Gefühlen, eine Art „Sucht“ entwickeln kann. Doch irgendwann kippt alles und die Tiefs überwiegen die Hochs. Expertinnen gehen davon aus, dass dieser Umschwung, aber auch ein Großteil der toxischen Beziehungen, in bestimmten Veranlagungen deines Partners oder deiner Partnerin begründet ist. Dabei, so glaubt man, können Charakterzüge wie Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus eine Rolle spielen.

  • Machiavellismus: Das ist eine manipulative, opportunistische Verhaltensweise, inspiriert von Niccolò Machiavellis Ideen über politische Machtausübung und Rücksichtslosigkeit. Stelle dir darunter eine Person vor, die sehr schlau ist und immer versucht, ihre Ziele zu erreichen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen.
  • Psychopathie: Das ist eine Persönlichkeitsstörung mit emotionalem Mangel, geringer Empathie und antisozialem Verhalten. Ein Beispiel dafür ist der große Böse Wolf, der Hunger nach den sieben Geißlein hat. Er verstellt sich geschickt, täuscht andere und zeigt dabei keine Reue.
  • Narzissmus: Das ist eine Persönlichkeitsstörung mit übermäßigem Selbstinteresse, Mangel an Empathie und einem Bedürfnis nach Bewunderung. Ein Beispiel dafür ist Gaston aus „Die Schöne und das Biest“. Er liebt sich mehr als alles andere und ist von seiner Stärke und Schönheit vollkommen überzeugt. Er glaubt, dass er der Beste ist und dass jeder ihn bewundern sollte.

Woran erkenne ich eine toxische Person?

Du fragst dich, ob du eine Beziehung mit einer toxischen Person führst? Hier eine Hilfestellung, die aber nicht allgemein gültig ist, sondern dir einen ersten Hinweis geben kann. Achte auf Love-Bombing (schneller und überschwänglicher Beziehungsbeginn), extreme Hochs und Tiefs (Achterbahnfahrt der Gefühle) oder auch darauf, dass du „nicht ausreichst“ (du wirst ständig kritisiert fürs z. B. Atmen oder deinen Kleidungsstil“).

Andere Faktoren können gezielte Verunsicherung (Partner verdreht Realität), körperliche oder geistige Grenzüberschreitungen (Anschreien, Schlagen) oder auch die Isolation von Freunden und der Familie.

Beachte bitte, dass diese Einordnung sehr vage ist und nicht auf jeden zutrifft, der einmal weniger einfühlsam, etwas manipulativ oder hin und wieder selbstverliebt ist. Dominiert aber einer der genannten Charakterzüge das Verhalten deines Gegenübers, solltest du achtgeben. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.

Love-Bombing

Love-Bombing gilt als Merkmal einer toxischen Beziehung. Dabei macht eine Person zu Beginn einer Beziehung ständig Komplimente, fokussiert die Aufmerksamkeit fast nur auf den neuen Partner bzw. die neue Partnerin und macht zudem Geschenke im Überfluss. So binden beispielsweise Narzisstinnen und Narzissten ihre Partner an sich. Ein weiteres Indiz können zu frühe und übertriebene Liebesbekundungen samt verfrühter gemeinsamer Zukunftspläne sein.

Was macht eine toxische Beziehung mit der Psyche?

Die toxische Partnerin oder der toxische Partner beginnt in der Beziehung nicht selten damit das Gegenüber mit kleinen Andeutungen herunterzuputzen, zu entwerten oder auch einfach nur kleinzureden. Versuche, sich zu wehren, werden mit Aussagen wie „Es ist dein Problem, wenn du das falsch verstanden hast“ oder „So habe ich das nie gesagt“ gekontert.

Lässt der Partner oder die Partnerin sich von solchen Aussagen negativ beeinflussen, verliert er oder sie Stück für Stück das Vertrauen in sich. Wiederholt der toxische Beziehungsteil diese Aussagen, werden die Selbstzweifel immer größer. „Es ist meine Schuld. Es liegt nur an mir“. Solche Gedanken schleichen sich dann in die Psyche ein.

10 Merkmale für eine toxische Beziehung

  1. Love-Bombing: Überschwänglicher Beziehungsbeginn. Schon nach wenigen Tagen hebt dich dein Gegenüber als seine große Liebe auf ein Podest.
  2. Hohes Tempo: Alles soll schnell passieren: der erste Sex, der erste gemeinsame Urlaub, die gemeinsame Wohnung und die Hochzeit.
  3. Extreme Hochs und Tiefs: Der toxische Partner bzw. die toxische Partnerin lehnt das Gegenüber in einer Sekunde ab, in der nächsten sucht er intensiven Kontakt – das Paarleben gleicht einer Achterbahnfahrt.
  4. Du reichst nicht aus: Egal, was du tust, es ist für deinen Partner niemals genug. Dein Gegenüber kritisiert dich unentwegt mit Aussagen wie „Warum atmest du so laut?“ oder „Was hast du heute an?“.
  5. Dein Partner verunsichert dich gezielt: Das nennt man Gaslighting. Dein toxisches Gegenüber verdreht die Realität, sodass du immer mehr an dir zweifelst.
  6. Du bist immer schuld: Du bist für jedes Problem verantwortlich. Ist dein Gegenüber sauer, trägst du dafür die Schuld. Sogar wenn der oder die andere fremdgeht, liegt es an dir.
  7. Grenzen überschreiten: Dein toxisches Gegenüber überschreitet mit Worten, Anschreien oder auch körperlich deine Grenzen.
  8. Kontrolle: Der Partner oder die Partnerin will zum Beispiel bestimmen, wofür du dein Geld ausgibst oder mit welchen Freunden oder Freundinnen du dich triffst.
  9. Isolation von Freunden und Familie: Deine Partnerin oder dein Partner will nicht, dass du dich mit deiner Familie oder deinen Freunden triffst.
  10. Gefühlte Abhängigkeit: Keine Familie, keine Freunde, kein Selbstwertgefühl – wenn all das wegbricht, folgt schnell die Überzeugung: „Ich habe niemanden außer meinen Partner.“

Nicht nur Peitsche, auch Zuckerbrot in einer toxischen Beziehung

Toxische Personen „arbeiten“ aber nicht nur mit Bestrafung (Manipulation, Kontrolle, Einschüchterung, Demütigung, Beleidigung, Drohung, Stalken, Isolierung). Gründe, warum viele Menschen eine dysfunktionale Beziehung nicht beenden können oder wollen, sind unregelmäßige Belohnungen und die kurzen glücklichen Phasen. Bei der Belohnung erhält die „belohnte“ Person von der anderen überraschend ein Lob, Liebe, Komplimente oder ein Geschenk. Das sorgt für Hoffnung, dass das Gegenüber sich ändert. Man hofft, dass der andere bzw. die andere im Kern doch ein gutes Herz hat und nun auf dem Weg ist, sich zu bessern. Diese Hoffnung wird in solchen Beziehungen nur meist nicht Realität.

10 Tipps, um eine toxische Beziehung zu beenden

  1. Selbst entscheiden: Frag dich, wie lange du leiden willst und wie lange du an dem Glauben festhalten kannst, dass sich dein toxischer Partner für dich ändert.
  2. Brich sämtlichen Kontakt ab: Facebook, Instagram, Smartphone und alles andere auch. Achte auf Fake-Profile (ehe du bei Freundschaftsanfragen auf „Ja“ klickst, schau dir das Profil genau an).
  3. Hilfe hilft: Suche dir Unterstützung bei Freunden, der Familie oder von professionellen Psychologinnen und Psychologen.
  4. Ärztliche Unterstützung: Bist du körperlich erschöpft, kannst du mit ärztlich beaufsichtigter Ernährung oder durch die Unterstützung von Ernährungsberater deine physischen und psychischen Akkus wieder aufladen.
  5. Gib dich nicht auf: Dein Gegenüber ist es nicht wert, dass du dich aufgibst. Entdecke deine Bedürfnisse wieder und stelle sie für dich in den Vordergrund.
  6. Bewegung hilft: Ab an die frische Luft. Spazieren, Joggen, Tennis oder eine Kampfsportart – reagiere dich ab, powere dich aus und sortiere dabei deine Gedanken.
  7. Neue Ziele: Ob in der Schule, in der Lehre oder privat – mach etwas Neues, dass du mit deinem Ex-Partner nicht gemacht hast. So bekommst du wieder etwas, das nur dir gehört.
  8. Weg vom toxischen Umfeld: Wenn es möglich ist, such dir ein Umfeld ohne den oder die Ex.
  9. Umgib dich mit netten Menschen: Such dir Menschen, die dir emotionalen Halt geben. Das kann, muss aber nicht im Familien- oder Freundeskreis sein. Auch Selbsthilfegruppen sind tolle Alternativen.
  10. Gönn dir Gutes: Jetzt bist du dran! Kauf dir ein cooles Game, geh mit Freunden aus oder iss eine Pizza im Bett und schau deinen Lieblingsfilm, während draußen gemütlich der Regen prasselt. Egal was es ist, es sollte dir guttun.

Gibt es körperliche Symptome bei toxischen Beziehungen?

Wer in einer toxischen Beziehung steckt, leidet psychisch. Es gibt aber auch körperliche Symptome, da die menschliche Psyche mit der Physis verknüpft ist.

  • Erschöpfung
  • Bauchschmerzen
  • Schlafprobleme
  • Verspannungen
  • Verdauungsprobleme
  • Konzentrationsprobleme
  • Kopfschmerzen

Wenn du glaubst, du bist in einer toxischen Partnerschaft und klagst du über einen längeren Zeitraum über mehrere dieser Symptome, solltest du diese Beziehung ernsthaft überdenken.

Stell dir hier auch die Frage, ob du glaubst, besonders anfällig für toxische Beziehungen zu sein. Erfahrungsgemäß sind das Personen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, unsichere Bindungstypen allgemein oder früheren traumatischen Erfahrungen.

Fazit:

Toxische Beziehungen sind gefährlich, geprägt von Manipulation und Unterdrückung. Charakterzüge wie Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus können eine Rolle spielen. Diese Beziehungen führen zu psychischem Leid und oft auch körperlichen Symptomen. Um dem Toxischen zu begegnen, ist die Erkenntnis entscheidend, dass toxische Partner selten dauerhaft positive Veränderungen zeigen. Das Leiden in solchen Beziehungen braucht Selbstreflexion und den Mut, um sich daraus zu lösen und um sich endgültig zu befreien. Diese Art des Selbstschutzes ist für Menschen mit geringem Selbstwertgefühl oder traumatischen Erfahrungen besonders wichtig.

Hier gibt es Hilfe

  1. Toxische-Beziehung.de:  0176 31699588 oder 0176 44278586
  2. Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen: 08000 116016
  3. Telefonseelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222
  4. Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen: 0800 7772244
  5. Deutschlandweites Info-Telefon für Depression: 0800 3344533

Hast du weitere Fragen, Themenwünsche oder etwas anderes auf dem Herzen? Dann schreib uns: doktorsex@dak.de! Wir freuen uns, von dir zu hören.

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